Donnerstag, 9. April 2009

Im Auto II


Melinda fasste sich an ihren Kopf. Ihr langes, helles Haar war zum größten Teil aus dem Pferdeschwanz gewichen und hing ihr in dicken Strähnen ins Gesicht. Der Kopf tat ihr ein wenig weh. Sie legte sich das feuchte Tuch, das Tante Biggi ihr in die Hand gedrückt hatte, auf die Stirn. Es war angenehm kühl. Tante Biggi – irgendwie war die doch nicht so schlecht, wie sie gedacht hatte. War gleich da gewesen, als es laut knallte und der Ruck sie durchschüttelte, während Onkel Franzis einfach weg war. Sie äugte nach rechts rüber, zu dem anderen Mädchen. Larissa war ein ganz schönes Baby, die hatte richtig geflennt. Stolz richtete sie sich auf, als sie daran dachte wie Tante Biggi gesagt hatte, dass sie so tapfer sei!
„Geht es Dir gut?“, es dauerte einen Moment bis Melinda begriff, dass nicht sie gemeint war, sondern Onkel Franzis.

Sie sah, wie Tante Biggi ihn leicht am Arm berührte. Wieder spürte sie so was Komisches zwischen den Beiden, das sie nicht einordnen konnte. Einen eigenen Raum, der ihr irgendwie verschlossen blieb. Sie spürte einen Stich und wandte unwillkürlich ihren Blick hinüber zu Larissa. Die beiden Mädchen sahen sich kurz an und Melinda wusste, dass die Andere das Selbe spürte wie sie. Sie beobachtete wie Larissa ihre Stirn runzelte und sich mit dünner Stimme bemerkbar machte:
„Mama?“
Stille, einen Augenblick lang. Es war unangenehm. Dann lachten die Erwachsenen plötzlich laut los. Sie tauschte mit Larissa einen langen Blick und sah, wie diese ihre Augen weit aufgerissen hatte. Unwillkürlich berührte sie sie am Arm, wie um sie zu trösten.
„Mama?“, Larissa starrte nach Vorne, ihre Lippen zitterten und aus ihrer Stimme konnte Melinda Wut hören.
Dann hörte sie nicht mehr richtig zu. Sie war müde. Sie schaute an Larissa vorbei aus dem Seitenfenster hinaus und beobachtete den Regen, den sie im Licht der Straßenlaterne gut erkennen konnte. Sie seufzte wohlig und kuschelte sich in die Decke, die Tante Biggi ihnen aus den Kofferraum geholt hatte. Fast wäre sie eingeschlafen.
„Wie geht es Dir eigentlich, Melinda?“, die Erwähnung ihres Namens lies sie aufschrecken.
„Ganz gut“, murmelte sie während sie ihrem Onkel schläfrig anlächelte.
Sie sah, wie er ihr zuzwinkerte und spürte wieder diesen eigenen, kleinen und geheimen Raum, den nur sie beide kannten. Zwischen ihnen beiden, nicht zwischen Tante Biggi und ihm. Zufrieden hob sie kurz ihren Kopf und schaute zu Tante Bigi hinüber. Hatte sie das bemerkt? Es wirkte nicht so, sie seufzte ein wenig enttäuscht. Als der Wagen los fuhr griff Larissa nach ihrer Hand. Im ersten Moment wollte sie ihre wegziehen von den kalten Fingern der anderen, aber dann lies sie sie doch da. War ja eigentlich auch schon egal. Im Vorbeifahren sah sie an einer Straßenecke eine Frau und einen Mann mit einem Kinderwagen stehen.
„Baby“, murmelte sie und deutete mit ihrem Kopf in die Richtung.
Larissa folgte ihrem Blick und nickte. Onkel Franzis unterhielt sich mit Tante Biggi, aber sie hörte nicht genau hin. Plötzlich gab er Gas und dröhnte mit lauter Stimme:
„Und Mädels, heute haben wir unser Auto zu Schrott gefahren – was wollen wir morgen unternehmen?“
Larissa und sie sahen sich an und kicherten.
„Willst Du morgen mit zu meinem Pferd?“, sie flüsterte es ganz leise und sah Larissa verschwörerisch an.
Die Gefragte nickte und strahlte. Melinda drückte sich wieder das Tuch gegen den Kopf. Hoffentlich waren bis dahin die Kopfschmerzen verschwunden.

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