Donnerstag, 7. Oktober 2010

Regen


Im schnellen Takt peitscht der Regen auf die Straße. Das leise Knarren der Tür ist im Prasseln des Wassers fast nicht zu hören. Aber der Lichtstrahl, der sich aus dem warmen Inneren des Hauses seinen Weg nach draußen sucht, ist deutlich zu sehen. Er verliert sich schon nach wenigen Metern in der Schwärze der Nacht. Eine rundliche Gestalt tritt ins Freie. Wie eine sanfte Umarmung legt sich die Dunkelheit um sie und schützt sie vor neugierigen Blicken.
„Ich liebe den Regen!“, das tonlose Flüstern verliert sich rasch.
Das Gesicht dem Himmel zugewandt findet das Wasser immer neue Wege auf Haut und Haaren. Kleine Rinnsale verbinden sich zu großen Strömen bis schließlich alles nass ist.
Im Regen kann niemand Deine Tränen sehen.

Es gibt Schmerzen die zu stillen all Deine Tränen nicht ausreichen würden. Vielleicht vermögen es die Milliarden von Tropfen, die bei einem Unwetter auf die Erde fallen. Vielleicht – im Regen, das Gesicht dem Himmel zugewendet.
„Welchen Schmerz der Himmel wohl hat, dass er trotz der vielen Unwetter nicht aufhört?“, das Murmeln bleibt unbeantwortet.
Das willst Du nicht wissen. Niemand will es wissen. Ein Satz, ein Melodiefetzen, hängt plötzlich in der Luft:
Und der Himmel weint!
In der Dunkelheit ist der Umriss der Gestalt, wie er sich gegen das Licht aus dem Haus abhebt, noch zu erkennen. Ein Arm hebt sich langsam nach oben. Das Papiertaschentuch, dem Himmel entgegenstreckt, entzieht sich dem Blick des neugierigen Beobachters. Genauso wie das Lächeln, das kurz über das im Schatten liegende Gesicht huscht.
„Für Dich!“, der Ruf halt noch einige Sekunden durch das Dunkel.
Gierig stürzen sich eine Vielzahl von Wassertropfen auf das Tuch. Innerhalb von Sekunden ist es fort gespült. Langsam senkt sich der Arm wieder.
„Ich habe Angst!“, das Flüstern wird von einem dumpfen Grollen des Himmels beantwortet.
„Ich weiß...“, der Blick schweift auf die regennasse Erde, „...man darf keine Angst haben.“
Wie war das, als Du noch klein warst? Dachtest Du auch dass Du eines Tages groß sein wirst und Dir nichts und niemand mehr Angst machen kann?
„Aber das ist gelogen...“, diese Worte sind noch leiser als die Ersten.
Sofort ertönt ein weiteres Grollen. Als wäre es schon ein Verbrechen an dieser Lüge auch nur zu zweifeln.