Montag, 29. Dezember 2008

Weihnachtsmarkt II

„Flynn, warte!“, Birgit schob sich die dicke, rote Wollmütze aus dem Gesicht und beschleunigte ihren Schritt. Ein Unterfangen, dass sie nahezu sofort wieder aufgab, denn die beiden kleinen Mädchen, die sie links und rechts an ihren Händen führte begannen massiv zu protestieren. Warum hatte der liebe Gott ihr nicht drei Hände gegeben? Wie sollte sie auf alle aufpassen, wenn der Achtjährige sich immer wieder selbständig machte? Dabei hatte sie dem Kleinen doch eben erst erklärt wie wichtig es ist an dem großen Platz ganz dicht an ihrer Seite zu bleiben, damit ihn ja kein Bus überfährt. Flynn schien wenig beeindruckt von ihrem Rufen. Er rannte quer über den Platz und war einige Augenblicke später zwischen zwei Holzbuden verschwunden.Birgits Körper spannte sich an. Erst als Larissa neben ihr anfing zu quengeln wurde ihr bewusst, dass sich ihre Hände wie zwei Schraubstöcke um die kleinen Finger der Mädchen legten. Seufzend lockerte sie ihren Griff ein wenig, während sie erneut versuchte ihren Schritt zu beschleunigen. Annika, mit ihren fünf Jahren die Jüngste, stolperte und wäre wohl auf die Nase gefallen, wenn Birgit sie nicht festgehalten hätte. Erschrocken fing die Kleine an zu weinen.
„Ist Flynn jetzt verloren?“, Larissa sah sie mit großen Augen an. Sie schüttelte den Kopf, während sie Annika auf den Arm nahm, um sie zu trösten, aber auch um schneller laufen zu können.
„Nein, ich schätze ich weiß wo wir ihn finden.“
„Hast Du nicht gesagt, dass er bei uns bleiben soll?“
Sie zog ihre Stirn in Falten, nickte und murmelte etwas Undeutliches. Es war nicht schön von einer Sechsjährigen auf die eigenen Unzulänglichkeiten aufmerksam gemacht zu werden. In diesem Moment erschien ein dunkler Schopf zwischen zwei Holzbuden.
„Tante Biggi, beeilt euch, es fährt gleich wieder los!“, ungeduldig trat der kleine Fratz von einem Bein auf das andere und sah sie mit leuchtenden Augen an.
Sie spürte ein Ziehen in der Magengegend, fixierte den Jungen mit zusammengezogenen Augenbrauen und knurrte halb ernst, halb zum Spaß: „Wenn Du jetzt nicht sofort her kommst und Annikas Hand ganz fest hältst, dann überlege ich es mir anders und wir gehen überhaupt nicht mehr zum Karussell!“
Sie spürte einen Stich im Herzen, als das Leuchten aus Flynns Augen einem glasigen Blick wich.
„Aber Du hast doch versprochen!“, seine Stimme zitterte. Annika schaute alarmiert auf und fing im nächsten Moment an zu weinen: „Ich will aber Karussell fahren!“
Sie tauschte einen kurzen Blick mit Larissa während dem sie für einen Moment beinahe entschuldigend ihre Augenbrauen hochzog. Larissa seufzte und sah prüfend die vorbeigehenden Passanten an.
Birgit sah Flynn mit einem durchdringenden Blick an, während sie Annika wieder auf der Erde absetzte.
„Also schön,“, knurrte sie, „dann nimm Annika jetzt an der Hand, damit wir gemeinsam zum Karussell laufen können. Ich will nicht, dass Du wieder verloren gehst – was soll ich Deiner Mutter sonst heute Abend erzählen?“
Im selben Augenblick begannen Flynns Augen wieder zu strahlen und er ergriff eifrig Annikas Hand, die wohl nicht so schnell umschalten konnte, nachdem sie immer noch leise schniefte. Larissa seufzte fast unhörbar und konzentrierte ihren Blick auf ihre Füße. Endlich beim Karussell angekommen bedeutete Birgit den Kindern zu warten, bis sie die Karten geholt habe.
Als sie zurück kam hielt sie kurz ihren Atem an. Entgegen ihrer Erwartungen, dass die Kinder das Karussell und sie nicht aus den Augen lassen würden standen diese mit dem Rücken zum Karussell und reckten ihre Köpfe in die andere Richtung. Sie stockte in ihrer Bewegung und folgte den Blicken der drei Kleinen. Dort standen zwei Jugendliche an einem Stehtisch. Standen war nicht ganz richtig, der eine sprang laut grölend auf und ab während der andere ihm lachend zuprostete. Sie kniff ihre Augen zusammen während sie hörbar ausatmete. Waren die etwa am helllichten Tage schon betrunken? Sie knurrte. Konnten die sich nicht wo anders betrinken? Unerhört war das, genau neben dem Kinderkarrussel – damit die Kleinen bei solchen Vorbildern noch auf dumme Gedanken kamen. Wo Flynn sich ohnehin jeden Unsinn absah. Schnell schob sie sich zwischen die Kinder und die beiden Betrunkenen. Gerade noch rechtzeitig bevor Flynn auf diese zugehen konnte. Sie beugte sich zu ihren drei Schützlingen hinunter, legt ihre Arme um sie und bugsierte sie sanft wieder in Richtung Karusell.
„Los, ihr wollt doch Karussell fahren – auf der anderen Seite könnt ihr euch die besten Plätze sichern!“. Alle drei drehten sie sich beim Weggehen immer wieder zu den Großen um.
„Was ist mit den beiden Männern?“, Larissa sah sie mit großen Augen an, doch sie schüttelte nur ihren Kopf und schob Larissa bestimmt weiter. Als Flynn stolperte packte sie ihn bei der Hand und zog ihn mit sich. Diesmal ignorierte sie seinen lauten Protest. Wie zufällig glitt ihr Blick zurück und ihr Herz machte einen kurzen Satz, als sie den Blick des Tänzers sah. Sie sah, wie er zu seinem Freund etwas sagte, beide dann mit breitem Grinsen zu ihr und den Kindern hinüber sahen. Sie zwinkerte – hatten sie ihr jetzt zugeprostet? Machten sie sich etwa über sie lustig? Sie zog ihre Augenbrauen zusammen und war froh, dass die Kinder sich nach ein paar Schritten wieder vom Karussell ablenken ließen. Als die Drei kurz darauf jauchzend ihre erste Runde auf dem Karussell fuhren, dachte sie noch einmal an diese kurze Begegnung zurück. Was war das überhaupt für ein Akzent gewesen mit dem der eine gesungen hatte? Russisch? Deutsch jedenfalls nicht! Bei der dritten Runde schweifte ihr Blick über den Platz und blieb auf der anderen Seite an dem Tisch hängen. Jetzt stand nur noch einer dort drüben. Sie kniff ihre Augen zusammen, um besser sehen zu können. Sie war sich nicht ganz sicher, aber sie glaubte, dass der mit den kurzen, blonden Haaren der gewesen war, der sich nicht getanzt hatte. Ein stilles Lächeln umspielte seine Züge. Seltsam, ihr war als gäbe er ein Bild des stillen Friedens ab, als er so mit dem Kopf in beide Hände gestützt an dem Tisch stand. Ihr entfuhr ein Seufzen und sie spürte einen Stich im Herzen, als sie sich in diesem jungen und stillem Gesicht verlor. Wie alt er wohl sein mochte? Noch keine achtzehn. Ihre Wimpern zitterten, es war als würde sie in dem Spiegel des jungen Gesichtes ihr eigenes auftauchen sehen. Jung und unbeschwert, voller Hoffnung und noch nicht gelebter Träume. Ihr Nasenflügel begann zu zittern, während sie schwer ihren Kopf senkte. Dann wurde sie abgelenkt, denn Flynn fuhr auf einem der Pferde an ihr vorbei und riss jauchzend seine Arme in die Luft. Sie lächelte und winkte ihm zu. Aber Flynn achtete nicht auf sie, mit großen Augen sah er zu dem Jugendlichen. Dieser sah plötzlich nicht mehr friedlich sondern irgendwie düster aus. In diesem Moment tauchte sein Freund mit zwei neuen Tassen auf. Sie hob ihre Augenbrauen, als sie beobachtete wie er dem Freund kurz zuprostete und seine Tasse beinahe in einem Zug leerte.
Nach dieser dritten Runde sammelte sie ihre Schützlinge wieder ein und machte sich unter Protesten auf den Weg nach Hause. Auch die beiden Jugendlichen schienen sich zum Gehen bereit zu machen. Sie folgte ihnen mit ihrem Blick und beobachtete wie der eine dem Blonden einen Schubs gab. Es kam zu einem Gerangel, und plötzlich fiel der eine auf einen Passanten. Dieser war ein wenig älter als die Beiden. Er hatte Glück, denn er fiel genau auf einen seiner Begleiter und konnte sich so auf den Beinen halten. Sie hielt den Atem. Nach einem beinahe endlos erscheinenden Blick lösten sich die vier voneinander. Der Blonde packte seinen Freund am Arm und zog ihn mit sich fort. Hörbar atmete sie aus, die anderen schienen keine Anstalten machen ihnen zu folgen. Einen Augenblick später waren der Blondschopf und sein Freund zwischen den Ständen verschwunden.
„Gehn wir jetzt nach Hause?“, Annika zupfte sie am Ärmel und sah sie schniefend mit großen Kulleraugen an. Widerstrebend löste sie ihren Blick und sah zu Annika hinunter.
„Aber ja doch“, mit einem schwachen Lächeln hob sie die Kleine auf ihren Arm. Sie strich Flynn und Larissa über den Kopf.
„Habt ihr Lust auf einen heißen Kakao?“ Mit begeisterten Rufen umsprangen die Beiden sie.
Ihr Lächeln war längst wieder erloschen und ihr Blick weit fort gerichtet, als sie mit den Kindern den Weg nach Hause antrat.

Donnerstag, 25. Dezember 2008

Weihnachtsmarkt I

Atemlos rannte Vladimir neben Viktor her. Sein kurzes, blondes Haar wippte im Takt seiner Schritte und er hörte Viktor neben sich lachen.
„Hast Du ihr Gesicht gesehen, als Du auf die Banane getreten bist?“, Viktors helle, graue Augen strahlten ihn an, „Schätze sie hätte gleich losgeflennt.“
Vladimir nickte nur, während er seinen Schritt wieder verlangsamte. Viktor redete weiter auf ihn ein und machte die verschiedensten Bemerkungen über das verrückte Mädchen. Als endlich die Stände des Weihnachtsmarktes vor ihnen auftauchten, lies ein tiefes Schnauben von Vladimir ihn verstummen. Ihm war als habe der genug von ihr gehört. Viktor verstand nicht ganz. Was war nur los mit Vladimir? Sonst war er doch auch für jeden Blödsinn zu haben. Schließlich war es doch Vladimirs Idee gewesen hinter dem Mädchen herzulaufen! Seufzend zuckte er mit seinen Achseln und trottete schweigend neben ihm her. Nachdem früher Nachmittag war, war am Markt noch nicht viel los. Geschickt drückten sie sich zwischen den Ständen hindurch, bis sie bei dem Stand mit der Feuerzangenbowle, in der Nähe des alten Kinderkarussells, angekommen waren. Die Verkäuferin legte ihren Kopf zur Seite und sah sie durchdringend an. Auf Vladimirs Stirn zeichneten sich ein paar Falten ab, während er ihren Blick erwiderte. Er sah älter aus als er war, und normalerweise hatte er nie Probleme Alkohol zu bekommen oder in Diskotheken hinein gelassen zu werden. Das war der Grund warum er immer vor ging. Ein, zwei Sekunden dauerte ihr Blickkontakt an. Vladimir fürchtete schon, dass sie gleich nach ihren Ausweisen fragen würde. Er spürte wie Viktor neben ihm von einem Fuß auf den anderen trat und hörbar ausatmete. Konnte der Idiot sich nicht einmal weniger auffällig verhalten? Er schob sich fast unmerklich vor Viktor und gab ihm einen leichten Schubser.
„Gehts da vorne mal weiter? Ich hab schließlich nicht den ganzen Tag Zeit!“, dröhnte eine dunkle Stimme von hinten.
Vladimir drehte mit einer schnellen Bewegung seinen Kopf nach hinten. Ein Herr mit dunklen, lockigen Haaren und einem schwarzen Schnauzbart sah die Verkäuferin mit zusammengekniffenen Augen an. Diese zuckte mit den Achseln und machte sich daran die beiden Feuerzangenbowlen einzuschenken. Viktor grinste den Herren breit an, als sie sich mit ihren Bechern an ihm vorbei drängten. Dieser beachtete sie aber nicht weiter, schob sich stattdessen hastig an ihnen vorbei, um seine Bestellung aufzugeben. Sie entschieden sich für einen Stehtisch in der Nähe des Kinderkarussells. Musik dröhnte aus alten Lautsprechern und klang etwas blechern. Viktor versuchte mitzusingen. Er hopste ein paar Mal im Takt der Musik und riss seine Arme nach oben, bevor sie beide in Gelächter ausbrachen. Am Kinderkarussell war mehr los als auf dem Rest des Weihnachtsmarktes. Eine Frau, die mit drei kleinen Kindern unterwegs war, sah zu ihnen hinüber und bedeutete den Kindern auf die andere Seite des Karussells zu gehen. Die drei verdrehten ihre Köpfe nach den beiden großen Jungs und der kleine Junge wäre fast über seine eigenen Füße gestolpert. Aber Vladimir und Viktor achteten nicht auf die Frau oder die Kinder. Sie prosteten sich zu und lachten laut. Beide nahmen sie einen tiefen Schluck aus ihren Tassen. Als die Tassen leer waren zog Viktor los, um Nachschub zu holen. Vladimir legte seine Ellbogen auf den Stehtisch und stützte seinen Kopf mit beiden Händen auf. Er lächelte während er dem warmen Gefühl in seiner Magengegend nachspürte. Mit leerem Blick starrte er auf das Karussell, das sich langsam im Kreis drehte. Er bemerkte nicht, wie die Frau mit den drei Kindern immer wieder zu ihm hinüber äugte, während die Kinder sie um eine weitere Fahrt anbettelten. Die Frau wollte die drei Quälgeister alle in einen der großen Wagen setzen, aber der kleine Junge bestand darauf auf einem Pferd zu sitzen. Schließlich ließ sie ihm seinen Willen. Vladimir überlegte, warum eigentlich nur Pferde und Wägen auf diesem alten Karussell waren. Er beobachtete den kleinen Jungen, der mit strahlendem Gesicht und hoch erhobenen Kopf auf dem Pferd saß und plötzlich bekamen seine hellen Augen einen glasigen Ausdruck. Einen Moment lang schien es ihm als würde der Kleine ihm direkt in die Augen sehen und seine Gedanken lesen. Vladimir schreckte auf, als Viktor ihm die zweite Tasse vor die Nase stellte. Laut prosteten sie sich zu und er nahm einen tiefen Schluck.
„Lass uns weiter ziehen!“, auffordernd sah er Viktor an, während er seine halbleere Tasse auf den Tisch stellte.
„Wieso?“, Viktor machte nicht den Anschein als wollte er weiter.
„Weil die anderen auf uns warten und weil mich die Musik nervt!“. Vladimir nahm seine Tasse, leerte sie in einem Zug und drehte sich weg. Viktor schob seine Unterlippe nach vorne und stieß einen lauten Seufzer aus bevor er Vladimir folgte. Flüchtig streifte sein Blick die Frau mit den drei Kindern. Sie sah Vladimir mit einem langen Blick nach. Viktor runzelte die Stirn und heftete sich neben Vladimir.
„Warum guckt die so komisch?“ „Wer?“ „Na, die Frau am Karussell!“
Vladimir drehte nicht mal den Kopf, als er antwortete: „Keine Ahnung. Wahrscheinlich ist sie froh, dass Du nicht mehr tanzt!“ Er grinste Viktor breit an. Dessen Augen blitzten und er gab Vladimir einen Stoß in die Seite. Dieser jaulte kurz auf, zur Revanche schubste er Viktor heftig. Der Alkohol tat sein übriges, so dass dieser sein Gleichgewicht verlor und direkt in den nächsten Passanten stolperte. Beide erstarrten. Blitzschnell richtete er sich wieder auf und starrte den Angerempelten an. Der starrte mit weit aufgerissenen Augen zurück, er hatte sich nur mit Mühe auf den Füßen gehalten. Viktor murmelte eine Entschuldigung, während Vladimir ihn am Arm packte und schnell weiter zog. Er drehte sich noch einmal um. Irgendwie kam ihm dieser Typ bekannt vor. Dann fiel es ihm wieder ein und er begriff warum Vladimir ihn so schnell weiter gezerrt hatte. Das war doch der Typ gewesen, der die Verrückte angesprochen hatte! Was wollte der eigentlich von ihr? Er raunte Vladimir etwas ins Ohr, beide fingen sie an zu lachen. Sie lachten immer noch, als sie schon bei einem anderen Teil des Marktes am Glühweinstand in der Nähe der Holzfasssauna waren und dort auf ihre Kumpels warteten.

Montag, 22. Dezember 2008

Hauptstrasse II

Agnes starrte mit leerem Blick auf die Strasse vor sich. Sie bemühte sich ihre Augen nicht zu fokussieren, um nicht versehentlich mit einem der Passanten in der Fußgängerzone Blickkontakt aufzunehmen.
`Ich bin ein Roboter`, dachte sie bei sich während sich ihre Gesichtszüge ein wenig entspannten und sie ihr Tempo etwas anzog.
Wortfetzen und Gekicher drangen an ihr Ohr: „Die spinnt!“, „Ey, schau mal die da drüben!“, „Die hat ja mal echt ’nen Knall!“
Ihr linkes Auge begann leicht zu zucken und sie spürte, wie ihre Wangen langsam heiß wurden. Schnell beugte sie sich nach unten zu ihrer Banane und schnalzte mit der Zunge:
„Komm, Kleiner, mach hinne!“. Sie kam sich ganz schön blöd vor.
`Hoffentlich erkennt mich keiner … ich hätte doch besser mit der Straßenbahn in die nächste Stadt fahren sollen …`, ihre Hand, um die sie fest die Paketschnur gewickelt hatte, begann zu zittern. Nicht stark, aber stark genug um einen aufmerksamen Beobachter ins Auge zu stechen. Während Agnes sich wieder hoch beugte, um erhobenen Hauptes und mit glühenden Wangen ihren Weg fortzusetzen, sog sie einen tiefen Atemzug in ihre Lungen.
Was für eine beschissene Schnapsidee! Wieso hatte sie sich eigentlich auf dieses dämliche Experiment eingelassen? Dieser bescheuerte Soziologieprofessor saß wahrscheinlich die ganze Zeit über in irgendeinem Straßencafé und lachte sich kaputt über die Schar dummer Studenten, die gerade brav das Experiment durchführten. Und sie, Agnes, machte sich bereits in ihrem 2. Semester zum Gespött der Fußgängerzone. Ach was! Zum Gespött der ganzen Stadt! Und weshalb? Weil sie sich einfühlen sollte.
„Damit ihr euch tatsächlich in die Realität eines Behinderten einfühlen könnt schlage ich euch folgendes Exempel vor: Macht etwas gänzlich Ungewöhnliches oder zieht euch besonders auffällig an und geht an einem belebten Nachmittag durch die Fußgängerzone. Ihr werdet schnell merken wie es sich anfühlt, wenn alle Menschen stehen bleiben, tuscheln und euch anstarren.“, hatte der Professor mit seiner tiefen angenehmen Stimme gesagt und Agnes dabei direkt in ihre Augen gesehen. Was hätte sie da tun sollen? Alle waren sie Feuer und Flamme für diesen absolut dämlichen Vorschlag gewesen. Agnes schnaubte heftig bei dem Gedanken wie stolz sie zu Hause auf ihre Idee mit der Banane gewesen war. Ihre Wangen glühten noch ein wenig mehr, als sie sich erinnerte mit welch erhabenem Gefühl sie vorhin am Beginn der Fußgängerzone die Banane aus ihrem Rucksack genommen und auf den Boden gelegt hatte. Jetzt würde sie am liebsten im Boden versinken, wenn sie sah wie sich vor ihr die Menschenmenge teilte, um der Verrückten Platz zu machen.
Schnellen Schrittes ging sie weiter. Bis zum Weihnachtsmarkt war ausgemacht gewesen und dort dann runter zur Mensa, wo sie sich mit dem Rest des Kurses treffen sollte. Wie weit war das noch? Agnes verschätzte sich jedes Mal in dieser Fußgängerzone, da es ja praktisch nur die eine Straße war, die sich endlos entlang zu ziehen schien. Plötzlich hörte sie auffordernde Rufe direkt hinter sich. Was war das? Betont langsam drehte sie sich um und sah sich direkt zwei halbstarken Jungs gegenüber, bestimmt 3 oder 4 Jahre jünger als sie. Einen Moment starrte sie die Beiden an, bevor sie ihren Blick zu der Banane hin wandte und während sie mit der Zunge schnalzte an der Paketschnur zog und sich wieder nach Vorne wandte. Falls das noch möglich war beschleunigte sie ihren Schritt nun noch ein wenig mehr.
Na super! Jetzt rannten ihr noch diese beiden Jungs hinterher und zogen mit ihren Zurufen noch mehr Aufmerksamkeit auf sich. Das Herz sank ihr in die Hose und sie fiel ein wenig in sich zusammen. Am liebsten hätte sie auf der Stelle abgebrochen mit diesem dämlichen Experiment – aber das ging nicht. Sie wollte sich vor dem Professor und den anderen Kursteilnehmern nicht blamieren. Außerdem würden die beiden Jungs sie wahrscheinlich dennoch weiterverfolgen – egal ob sie die Banane jetzt wegpackte oder nicht. Im Augenwinkel beobachtete sie, dass ihr noch eine weitere Gestalt seitlich folgte. Schön, falls sie irgendwann mal Kontakt suchen würde, dann schien es ein super Opener zu sein mit einer Banane durch die Fußgängerzone zu laufen. Sie drehte kurz ihren Kopf und zog ihre Stirn in Falten, als sie sah dass da neben ihr ein bestimmt 10 Jahre älterer Typ herlief und sie nicht aus den Augen lies. Ein unangenehmes Gefühl machte sich in ihrer Magengegend breit, während sie schnell den Kopf wieder nach vorne drehte.
An dem kleineren Vorplatz, gegenüber des Teeladens, erschienen die ersten Stände des Weihnachtsmarktes. Bis zum Hauptmarkt waren es von hier aus allerdings immer noch mehrere hundert Meter. Agnes blieb beinahe das Herz stehen, als sie an dem Stand mit den gebrannten Nüssen ein vertrautes Gesicht erkannte. Verdammt! Da vorn stand Bastian mit ein paar Freunden! Abrupt blieb sie stehen, ihre Augen flogen schnell von links nach rechts. Rechts stand die dritte Gestalt, hinter ihr waren die beiden Jungs und vor ihr Bastian. Wenn sie nicht schnell handelte war es nur eine Frage der Zeit, bis dieser aufsah und sie hier stehen sehen würde. Zumal sie nicht gerade wenig Aufsehen erregte.
Mit einer schnellen Bewegung wandte sie sich nach links zur nächsten Seitengasse. Hinter ihr war ein schleimiges Geräusch zu hören, als sie von der gespannten Paketschnur aufgehalten wurde. Gelächter von Hinten. Agnes drehte sich um und sah wie einer dieser beiden Kerle auf ihrer Banane stand die beiden sich kaputt lachten. Ihre Augen wurden zu Schlitzen und sie ging mit einer schnellen Bewegung auf die Beiden zu. Die sahen sich kurz an bevor der eine langsam seinen Fuß von der Banane nahm und Agnes mit erhobenen Augenbrauen ansah.
„Agnes?“, Bastians Stimme war genau neben ihrem Ohr.
Ihre Wangen wurden heiß und ihr Atem stockte. Mit aufgerissenen Augen starrte sie von den beiden Jungs zu Bastian und zurück.
„Ey, Deine Alte spinnt ganz schön!“, meinte der eine.
„Mein Beileid…“, murmelte der andere, dann machten die Beiden sich aus dem Staub.
„Agnes? Geht’s Dir gut?“, Bastian sah fragend von ihr zu den langsam verschwindenden Jungs, zu der zertretenen Banane vor ihren Füßen und wieder zurück in ihr Gesicht.
„Oh, hallo Bastian … schön Dich zu sehen … ich habs leider etwas eilig im Moment … man sieht sich, bis bald dann, tschüß!“, mit einer schnellen Bewegung hob sie die Banane auf, lächelte Bastian ganz kurz zu bevor sie sich wegdrehte und weiter Richtung Mensa ging. Sie musste sich sehr zusammen nehmen, um nicht loszurennen. Ihr Gesicht brannte, sie sah den Weg nur noch verschwommen vor sich. Dieser Scheiß-Professor mit seiner verdammt freundlichen Stimme und dieser Schnapsidee!

Donnerstag, 18. Dezember 2008

Hauptstrasse I

Rainer hatte immer noch ein leises Lächeln um seine Mundwinkel, als er ungefähr fünf Minuten später bei dem kleinen Buchladen in der Fußgängerzone kurz inne hielt. Mit einem schnellen Handgriff überprüfte er, ob die beiden Kuchenstücke noch ohne Quetschgefahr in seiner Tasche lagen. Sein Blick streifte im Vorbeigehen flüchtig die Auslage der zwei kleinen Schaufenster des Buchladens. In der breiten Straße, die links und rechts von Geschäften begrenzt wurde, war bereits alles auf die Vorweihnachtszeit eingestellt. Mit Lichterketten behangene Tannenzweige verbanden alle paar Meter die Häuser zu beiden Seiten. Eigentlich sah diese Dekoration nicht schlecht aus. Die großen weiß-leuchtenden Sterne, die genau in der Mitte der Straße mit einer Spitze nach unten hingen bereiteten Rainer dennoch jedes Jahr ein unwohles Gefühl, wenn er unter ihnen entlanglief. Aber es war ohnehin besser sich immer schön an der rechten Seite der Straße entlang zu drücken, zumindest wenn am Abend oder an den Wochenenden die Fußgängerzone voll mit Menschen war.
Aber nachmittags unter der Woche war die Straße im Vergleich dazu relativ menschenleer und Rainer schlenderte sie langsamen Schrittes entlang. Obwohl er das Gefühl hatte alle Zeit der Welt zu haben schien es ihm Mühe zu bereiten das Schlendern durchzuhalten. Alle paar Meter ertappte er sich dabei wie er gewohnheitsgemäß das Tempo anzog. Er legte seine Stirn in Falten und wandte den Kopf immer wieder von einer Seite zur anderen, um mit schnellen Blicken die Auslagen in den Schaufenstern zu erfassen. Bei manchen Geschäften blieb er stehen, und nahm die angebotenen Produkte genauer in Augenschein. Er schien es selbst nicht zu bemerken wie dann jedes Mal sein linker Fuß mit hoher Frequenz auf- und abwippte. Die Geschäfte auf der linken Seite der Straße nahm er nur kurz ins Visier. Nichts schien interessant genug um ihn zum Wechseln der Seite zu bewegen. Mittlerweile war er bereits die halbe Strecke bis zum Weihnachtsmarkt gelaufen und das leise Lächeln war längst nicht mehr auf seinem Gesicht zu sehen.
Mit zusammengezogenen Augenbrauen und verschobenen Lippen betrachtete er gerade die Pralinenauslage in einem Café, als verschiedenstimmiges Raunen und Kichern ihn aufsehen lies. Zunächst sah Rainer nur Menschen, die sich im Laufen umdrehten und tuschelnd ihre Köpfe zusammensteckten. Ein paar Jugendliche lachten laut auf und deuteten mit den Fingern, bevor sie halb umgedreht und mit großen, weit aufgerissenen Augen weitergingen. Einer tippte sich mit dem Zeigefinger an die Stirn und schüttelte seinen Kopf. Rainer folgte ihren Blicken und konnte zunächst nichts Auffälliges erkennen. Er sah dort nur ein junges Mädchen mit einer grünen Strickmütze. Interessanterweise hatte diese Strickmütze ein Schild, wie ein Baseballcap. Unter dieser Kopfbedeckung quollen ein paar dicke blonde Strähnen hervor. Rainer schätzte sie auf ungefähr 20 Jahre. Sie sah eigentlich ganz normal aus, wie sie sich mit völlig ausdruckslosem Gesicht ihren Weg bahnte. Es schien als würde sie das Aufheben um sie herum überhaupt nicht bemerken, und wenn, dann keinesfalls auf sich beziehen. Tatsächlich machten die Menschen ihr Platz und wichen ein paar Schritte zur Seite, während sie ihr ihre Köpfe nachdrehten. Neugierig ging Rainer ein paar Schritte näher. Als das Mädchen auf seiner Höhe angekommen war, sah er mit einem Mal warum die Passanten so aufgeregt reagierten. Sie zog etwas an einer Paketschnur hinter sich her zu dem sie sich immer wieder umdrehte und hinunterbeugte. Jetzt schnalzte sie auch mit ihrer Zunge und schien das Ding hinter sich zur Eile antreiben zu wollen. Rainer starrte nun genauso wie die anderen Passanten auf das Mädchen und von dem Mädchen zu diesem Ding hinter ihr und wieder zurück. War das eine Banane??? Er rieb sich die Augen, schüttelte seinen Kopf und starrte erneut zu dem gelben Ding am Ende der Paketschnur. Seine Pupillen weiteten sich ein wenig. Zweifellos, dieses Mädchen zog eine Banane hinter sich her und benahm sich so, als würde sie mit einem Hund spazieren gehen.
`Oh mein Gott!´, schoss es ihm durch den Kopf, `so jung und schon verrückt!´.
Dieser Gedanke war eigentlich albern, aber wenn Rainer das Wort verrückt hörte, dann dachte er immer an verwahrloste, sabbernde und bedauerungswürdige Gestalten. Zum Glück hatte er normalerweise nichts mit Verrückten zu tun. Der Anblick dieses Mädchens flößte ihm Unbehagen ein. Wie konnte jemand der so normal aussah offensichtlich den Verstand verloren haben? Hatte sie denn keine Eltern, die sich um sie kümmerten und dafür Sorge trugen, dass sie sich nicht so blamierte? Wenn man Verrücktheit niemanden ansah, wer konnte ihm dann garantieren, dass er normal bleiben würde?
Rainer beobachtete wie sich dem Mädchen zwei Halbstarke junge Kerle anschlossen, die grölend hinter ihr herliefen. Er stockte einen Moment bevor er mit einem schnellen Ruck neben diesem kleinen Zug herlief. Verrückt sein war ja eine Sache, aber dafür von zwei pöbelnden Jungs verfolgt zu werden eine ganz andere. Seine Augen verengten sich zu Schlitzen, während er mit zusammengepressten Lippen das Trio, im Abstand von etwa 3 Metern, seitlich begleitete.

Montag, 15. Dezember 2008

Beim Bäcker II

„Darfs noch was sein?“, Linda sah den älteren Herren auf der anderen Seite der Ladentheke nur kurz an. Dann verlor sich ihr Blick in dem kleinen Laden und sie zählte flüchtig die wartenden Kunden. Ein unwohles Gefühl stieg langsam aus ihrer Magengegend auf. Sie warf einen schnellen Blick auf die Uhr an der Wand. Noch eine Stunde bis ihre Kollegin wieder aus der Mittagspause zurück sein würde. Wenn es mit dem Ansturm so weiter ging, dann könnten die Kunden vielleicht so im Pulk im Laden stehen, dass keiner mehr raus oder rein kam. Bei diesem Gedanken musste sie grinsen. Die Vorstellung wie die Kunden eine Kette bilden müssten um langsam bei der Tür wieder Platz zu schaffen und so plötzlich die Letzten als erstes bedient werden würden gefiel ihr. Die Letzten werden die Ersten sein – gab es diesen Spruch nicht irgendwo?

„Ich hätte bitte noch zwei Mohnbrötchen…“, die Stimme des älteren Herren zitterte leicht und riss Linda aus ihren Gedanken. Ein Schnauben von weiter hinten aus dem Laden verleitete sie zu einer schnelleren Drehung. Wohl etwas zu schnell, denn sie stolperte im zurückdrehen prompt über ihren linken Fuß. Beinahe wäre ihr bei der Auffangbewegung das Brötchen aus der Hand gefallen.

´Verdammt! Lass Dich bloß nicht hetzen!´, dachte sie bei sich, während sie mit leicht zitternden Fingern das Gewünschte in die Papiertüte fallen lies.

„Macht dann fünfvierzig, bitte“, während der ältere Herr in seiner Tasche nach seinem Geldbeutel suchte und sein Kleingeld langsam Cent für Cent auf den Tresen zählte hatte Linda Gelegenheit sich in Ruhe die Kunden anzusehen.

Stand die Frau mit dem Kinderwagen eigentlich schon die ganze Zeit da? Linda konnte sich nicht erinnern. Sie hasste es, wenn die Kunden sich nicht ordentlich in einer Reihe anstellten. Das gab jedes Mal Ärger, weil irgendwer sich übergangen fühlte und ihr dann dafür die Schuld gab. Als ob sie nichts Besseres zu tun hätte, als in einem vollen Laden auch noch darauf zu achten wer wann rein kommt. Aber der Laden war einfach zu kurz für eine lange Schlange vom Tresen bis zur Tür. Als sie gestern beim Finanzamt war hatte sie eine Nummer ziehen müssen. Das wäre doch die Idee für Warteschlangen im Bäckerladen. Nie wieder zurückgesetzte Kunden!

Als sie den älteren Herrn endlich abkassiert hatte wollte Linda sich schon der Frau mit dem Kinderwagen zuwenden, doch eine schnelle Bewegung von vorne lies sie stocken. Ein smarter junger Mann mit streng gegeltem Haar schob sich lächelnd nach vorne. Seine Grübchen erinnerten sie an jemanden. Plötzlich hatte sie wieder dessen Bild im Kopf und für einen kurzen Moment roch sie seinen Duft. Ein warmes Gefühl breitete sich in ihr aus und sie konnte gar nicht anders als diesen smarten jungen Mann anzulächeln. Wie alt er wohl sein mochte? Linda schätzte Ende zwanzig, vielleicht auch ein wenig älter. Als er ihr mit seinen beinahe stechenden Augen tief in die ihren sah begann ihr Herz wild zu klopfen. Schnell beugte sie sich nach vorn über die Kuchentheke und wünschte sich sie würde ihr strähniges, braunes Haar offen tragen, damit niemand ihr langsam glühendes Gesicht bemerkte.

Sorgfältig ordnete sie die Kuchenstücke auf dem Pappteller an. Wenn sie ein wenig Zeit lassen würde, dann konnte sie länger seinen Blick spüren, der das Kribbeln in ihrem Bauch auslöste. Plötzlich rempelte die junge Frau hinter dem smarten Mann ihn an. Was sollte das denn? War die etwa eifersüchtig, die dumme Kuh? Linda zog ihre Augenbrauen zusammen und konzentrierte sich nur noch halbherzig auf die Kuchenstücke, um die Szene vor ihrer Theke besser beobachten zu können. Der smarte Mann drehte sich zu dieser ungeschickten, jungen Frau um. Linda musterte sie aus ihrem Augenwinkel heraus. Schlecht sah sie nicht aus, aber sie war so unglaublich geschmacklos gekleidet mit dieser weißen Wollstrumpfhose, dem Minirock und der pechschwarzen, zerschlissenen Kapuzenjacke, die viel zu dünn für das Wetter draußen aussah. Aber der dicke orange Wollschall wirkte irgendwie cool in Kombination mit dem Rest des Outfits. Linda konnte sich nicht ganz entscheiden, ob sie den Stil tatsächlich so geschmacklos fand oder ob sie vielleicht doch ein wenig neidisch war, das die andere sich so was anzuziehen traute. Aber der blaue Lippenstift war echt übertrieben. Mit dem blassen Gesicht wirkte sie so beinahe wie tot. Während Linda den Kuchen einpackte versetzte es ihr einen Stich mit anzusehen mit welchen Blicken die beiden vor ihrer Theke sich anstarrten. Sie konnte förmlich das Knistern in der Luft spüren. Was für eine blöde Kuh! Zog einfach die ganze Aufmerksamkeit dieses süßen Typen auf sich. Es ging ihr gar nicht so sehr um den jungen Mann. Vielmehr um die jetzt zerstörte schöne Erinnerung an einen kleinen Flirt am Arbeitsplatz. Um das Gefühl mit einem Blick bedacht zu werden, der nur ihr galt.

Als der Mann bezahlte fühlte Linda sich gänzlich blamiert. Sie wollte 3,45 € - wieso verdammt noch mal drückte der Kerl ihr jetzt 5,95 € in die Hand? Sie kam sich unglaublich klein vor, als sie die Kasse für diese Rechenaufgabe zur Hilfe nehmen musste.

Schnell wandte sie sich der Frau mit dem Kinderwagen zu. Sie wollte nicht mit ansehen, wie die beiden Flirtenden sich noch mal so anstarrten und die Luft zwischen ihnen zu knistern begann. Eigentlich war es bis eben noch ein ziemlich guter Tag gewesen.

Donnerstag, 11. Dezember 2008

Beim Bäcker I

„Darfs noch was sein?“, die Verkäuferin blickte den älteren Herren mit den verwässerten Augen nur sehr kurz an. Noch ehe er ihr antworten konnte warf sie einen schnellen Blick über seine Schulter und blickte durch den Laden, ohne jedoch tatsächlich etwas wahrzunehmen.

Janina schnaubte und trat unruhig von einem Bein auf das andere. Mit einer hastigen Bewegung wischte sie sich eine Strähne ihres schwarzen Haars aus dem Gesicht. Die Bäckereifachverkäuferin war ungefähr so alt wie sie selbst, also Anfang oder Mitte zwanzig. Sie schien völlig überfordert mit ihrer Aufgabe. Immerhin hatte sie es geschafft nachmittags um zwei aufgrund ihrer Langsamkeit eine Schlange von mittlerweile 5 wartenden Personen zu produzieren. Janina war Nummer 3. Nach dem älteren Herren mit den verwässerten Augen kam ein windschnittiger Bankertyp. Der schaffte es, trotz seines niedlichen Gesichts, irgendwie fies auszusehen. Hinter ihr stand eine kleine Frau mit grauen Haaren – wahrscheinlich war sie Rentnerin. Eben hatte sich auch noch eine Frau mit Kinderwagen in den viel zu kleinen Laden gedrängt. Die Tatsache, dass diese sich an der Schlange vorbei neben den älteren Herren stellte beunruhigte Janina. In der Automatiktür, so halb drinnen, halb draußen, war es nicht sonderlich bequem zu stehen, dennoch hatte Janina keine Lust, dass sich diese Mutter vordrängeln könnte. Meist taten solche Kunden immer ganz unschuldig und gaben auf die Ansprache „Wer ist der nächste?“ einfach ihre Bestellung auf. Als ob es nur sie auf dieser Welt gäbe. Weil sie sich sonst klein kariert fühlte schwieg Janina dann meist. Aber ärgern tat es sie trotzdem. Sie lies die Frau mit dem Kinderwagen nicht mehr aus den Augen. Die sollte es bloß nicht wagen was zu bestellen ehe Janina an der Reihe war!

Nun stolperte die Verkäuferin zum dritten Mal über ihre eigenen Füße. Je mehr Menschen sich in dem kleinen Laden drängten, um so hektischer wurde sie, was sich nicht gerade positiv auf ihr Arbeitstempo auswirkte.

Die Rentnerin hinter Janina bewegte sich einfach zu oft, denn ständig öffnete sich die automatische Tür und ein kalter Wind blies von draußen in den Laden. Janina fröstelte. Vielleicht war die Idee mit der weißen Wollstrumpfhose unter dem dunklen Minirock doch nicht so gut gewesen. Ein prüfender Blick in das Glas des Schaufensters lies sie ihre Bedenken wieder in den Wind werfen. Es sah einfach zu cool aus, als dass sie sich über Außentemperaturen noch Sorgen machen wollte.

Endlich bekam der ältere Herr sein Wechselgeld. Janina bemerkte genau den Ansatz der Mutter, als die Verkäuferin nach dem nächsten Kunden fragte. Aber der Bankertyp war viel zu schnell für die vermeintliche Vordränglerin. Mit einer eleganten Bewegung schob er sich an dem älteren Herrn vorbei, der umständlich damit beschäftigt war seine Einkäufe in eine Tasche zu räumen, und fing den Blick der Verkäuferin mit einem charmanten Lächeln ein. Wenn er so lächelte sah er nicht mehr besonders fies aus. Janina wunderte sich über diesen ganz anderen Ausdruck in seinem Gesicht. Ob ihm die Verkäuferin gefiel? Das konnte sie sich eigentlich nicht vorstellen – nun ja, sie sah nicht schlecht aus, aber sie war so unglaublich doof! Janina entfuhr ein Seufzer, bei dem Gedanken auf welche Qualitäten Männer wert legten. Die Frau mit dem Kinderwagen sah sie irritiert an. Janina nutzte diese Gelegenheit, um die Frau auffordernd anzusehen und sich ein wenig dichter an den Banker heran zu schieben.

Wohl etwas zu nah, wie sie feststellen musste, nachdem dieser das Gespräch mit der Verkäuferin unterbrach und sie mit prüfenden Blick von oben bis unten musterte. Es fuhr ihr eiskalt den Rücken hinunter, als sie sich diesem Blick ausgesetzt fühlte. Da war wieder etwas Fieses an ihm, als er diesmal seinen Mund zu einem breiten Grinsen verzog. Trotzig starrte sie ihm in seine blaugrauen Augen, deren Farbe so gut zu erkennen war, weil seine Pupillen nur stecknadelkopfgroß waren. Während er sich wieder lässig der Verkäuferin zuwandte fühlte Janina sich plötzlich lächerlich in ihrem zuvor noch so coolem Outfit.

Um sich abzulenken sah sie auf die Uhr und musste feststellen, dass sie es langsam wirklich eilig hatte – immerhin hatte sie heute Abend noch ein Date und bis dahin gab es noch einiges zu erledigen. Jetzt machte sich dieser Typ auch noch einen Spaß daraus die Verkäuferin vor mathematische Rätsel zu stellen. Mit einem süffisanten Lächeln drückte er der Armen 5,95 € in die Hand, als sie von ihm 3,45 € verlangte. Sichtlich irritiert starrte die Bäckereifachverkäuferin ihn an, entschied sich aber zum Glück dazu beide Beträge in ihre Kasse einzugeben, was die Sache mit dem Wechselgeld ungemein vereinfachte. ´Arschloch!´, dachte Janina, der dieser Typ immer unsympathischer wurde. Als er fertig war bedachte er sie mit einem langen Blick, während er, fast ein wenig zu nah, an ihr vorbei ging. Janina war so abgelenkt, dass sie zu spät bemerkte, dass die Frau mit dem Kinderwagen munter ihre Bestellung aufgab.

Wütend starrte sie sowohl die Verkäuferin, als auch die Frau mit dem Kinderwagen an. Da beide nicht reagierten sah sie sich ein wenig hilflos nach der Rentnerin um, die allerdings, ihrem unbeteiligten Blick nach zu urteilen, nichts bemerkt zu haben schien. Vielleicht war es ihr aber auch einfach egal. Als Rentner hat man ja alle Zeit der Welt. Vielleicht war sie ja sogar dankbar noch ein wenig länger der Bäckereifachverkäuferin beim Bedienen ihrer Kunden zuzusehen. Janina schnaubte und tippte mit ihren linken Zehenspitzen in einem schnellen Takt auf den Boden, um sich abzureagieren.

Dienstag, 9. Dezember 2008

Stell´ Dir nur vor ...

Stell Dir vor morgen wären mit uns 2.000 Menschen hier - dann könnten sie die Bäume nicht fällen!

Könnten sie nicht?



Stell Dir vor alle würden sich weigern die Kettensäge in die Hand zu nehmen - sie würden einfach niemanden finden, weil niemand das Herz hätte einen gesunden und schönen Baum zu fällen!

Die Männer tun doch nur ihre Arbeit, sie denken nicht darüber nach...

Selbst müssten die Entschiedungsträger dann die Kettensäge in die Hand nehmen - vielleicht würde sie das zur Vernunft bringen?

Ich antworte nichts. Was sollte ich noch sagen? Wir wissen beide, dass es nur Träumerei ist.
Stumm sehe ich Dich an, halte Dich ganz fest in meinem Arm und spüre Deinen Atem auf meiner Haut.
Dann huscht ein Lächeln über mein Gesicht, vertreibt den Kloß in meinem Hals.

Stell Dir vor, hauche ich Dir leise ins Ohr, stell Dir vor für jeden gefällten Baum würden 2 neue auf dieser Welt wachsen...