Donnerstag, 26. Februar 2009

Im Kino II


Janinas Herz klopfte, als sie leise den dunklen Kinosaal betrat. Es war ihr erster Tag als Kinoeisverkäuferin. Alte Erinnerungen kamen in ihr hoch, als sie die Musik der Eiswerbung hörte. Wahrscheinlich war die in den letzten 15 Jahren nicht verändert worden.
„Du kannst Dich nach dem Verkaufen wieder in den Saal schleichen und den Film kostenlos ansehen.“, hatte der alte Mann von der Kasse ihr freudestrahlend verkündet.
Ihr neuer Chef. Wie hieß er noch gleich? Horst? Ja, so hatte er sich vorgestellt.
„Im Kinogeschäft duzen wir uns alle, kannst also ruhig Horst zu mir sagen.“
Janina hatte die vertraulich-sonore Stimme noch im Ohr.
Was glaubte der eigentlich wie alt sie war? Sie schaute sich doch keinen Kinderzeichentrickfilm für Sechsjährige an! Das grelle Licht, das plötzlich im Saal anging riss sie aus ihren Gedanken. Jetzt musste sie sich bemerkbar machen. Sie spürte wie ihre Wangen heiß wurden. Mit einem kräftigen Schlucken versuchte sie den Kloß in ihrem Hals hinunter zu schlucken.
„Eis. Will jemand Eis?“, sie hörte das leichte Zittern ihrer Stimme und ärgerte sich über sich selbst.
Keine Reaktion. War sie zu leise gewesen?

Sie trat von einem Bein auf das andere. Unentschlossen, ob sie ihre Frage wiederholen sollte. Da erinnerte sie sich plötzlich wieder an die Eisverkäufer ihrer Kindheit. Waren die nicht einfach an den Reihen entlang gegangen, wenn niemand ein Zeichen gegeben hatte?
Sie gab sich einen Ruck und ging mit einem breiten Lächeln, den Kopf von links nach rechts wendend, los. Erst jetzt viel ihr auf, dass der Saal nahezu leer war. Ein Mann aus den hinteren Reihen winkte sie zu sich. Er war mit seiner Frau und seinen beiden Töchtern da. Seltsam, die beiden Mädchen sahen sich so gar nicht ähnlich. Die eine dunkles, langes Haar mit einer etwas schiefen Nase und die andere blond und stupsnasig. Naja, vielleicht war es ja eine Patchworkfamilie. Oder es waren die beiden alleinerziehenden Eltern zweier Freundinnen. Wie Freundinnen sahen die Mädels allerdings auch nicht aus. Saßen wie zwei Stöcke nebeneinander. Also sie hätte mit ihrer Freundin im Kino ordentlich getuschelt. Aber die einzigen Beiden die sich tatsächlich angeregt unterhielten waren die Erwachsenen. Janina zuckte die Achseln und überreichte den beiden Mädchen augenzwinkernd das Eis. Der Mann gab ihr zwei Euro Trinkgeld. Das hätte sie sich nicht träumen lassen – sie wusste gar nicht, dass man Eisverkäufern im Kino Trinkgeld gab. Sie schenkte ihm ein Lächeln, was er kurz erwiderte, bevor er seine ganze Aufmerksamkeit wieder seiner Begleiterin zu wandte. So lief der Hase also. Der Kerl wollte die Dame an seiner Seite kräftig beeindrucken. Janina schnaubte leise, bloß großspurig so tun als ob man zu viel Geld hätte. So war ihr Vater auch gewesen. Dabei hatte der Schulden überall. Wie lange hatte sie gebraucht um das zu kapieren? Sie schüttelte den Kopf.
„Janina?“
Eine vertraute Stimme erinnerte sie daran, dass sie nicht zufällig im Kinosaal spazieren ging. Sie drehte sich um und sah am Ende der Reihe vor sich ein bekanntes Gesicht.
„Mensch Lasse! Was machst Du denn hier?“
Ihr Lachen gefror als sie bemerkte, dass da eine junge Frau neben ihm saß – durchaus nicht unattraktiv, vielleicht ein wenig langweilig. Sie hatte ihr ebenfalls den Kopf zugewandt und sah sie neugierig und mit einem doofen Lächeln im Gesicht an.
„Ich wusste gar nicht, dass Du auf Kinderfilme stehst!“, knurrte sie während sie der Anderen zunickte.
„Ich freue mich auch Dich zu sehen!“, Lasse lächelte sie mit seinem typischen „Lasse-Lächeln“ an.
Arschloch!, dachte sie für sich. Dann lächelte sie ebenso freundlich zurück. Vielleicht einen Hauch zu freundlich, zu betont.
„Achso, das ist übrigens Agnes – wir kennen uns aus einem gemeinsamen Kurs. Und das ist Janina, eine“, Lasse suchte eine Spur zu lange nach den richtigen Worten und seine Augen ließen sie nicht aus dem Blick, „eine gute Freundin von mir.“
Sie gaben sich kurz die Hand.
„Freut mich.“
„Mich auch.“
Sie versuchte sich nicht anmerken zu lassen wie sehr sie von seiner Vorstellung getroffen war. Sie nahm an, dass er wusste, dass sie getroffen sein musste. Zweifaches Arschloch!
„Ich muss dann mal weiter verkaufen. Die Leute wollen ja irgendwann ihren Film sehen. Viel Spaß euch Beiden!“
Sie nickte ihnen kurz zu und war schon halb in der Drehung, als Lasse sie zurückhielt:
„Moment mal, ich hätte auch gerne ein Eis – Du auch, Agnes?“
Janina atmete tief ein bevor sie sich umdrehte. Sie lies sich Zeit damit, damit das Lächeln auf ihrem Gesicht so richtig strahlen konnte.
„Oh, natürlich – wie unbedacht von mir! Ist heute mein erster Tag, verstehst Du? Welche der Eissorten hätte der Herr denn gerne? Und was darf ich der Dame anbieten?“
Agnes schüttelte nur ihren Kopf und lies ihren Blick zwischen Lasse und Janina hin und her wandern.
„Ich hoffe Du gibst auch Trinkgeld, wie der Herr vor Dir?“, auffordernd sah sie ihn an, nachdem er gewählt hatte. Ihre Augen blitzten leicht.
„Wie viel hat er Dir gegeben?“
„Zwei Euro – ist ja eigentlich Betriebsgeheimnis.“
„Stimmt so.“, mit einem breiten Lächeln drückte er ihr einen Zehneuroschein in die Hand, während er ihr direkt in die Augen sah.
Janina fing seinen Blick nicht auf. Stattdessen zuckte sie mit den Schultern, nickte den Beiden mit ihrem freundlichsten Lächeln zu und ging weiter die Reihen entlang. Sie spürte seinen Blick in ihrem Rücken. Zumindest redete sie sich ein, dass er ihr bestimmt nachsehen würde.
Sie schlich sich dann doch zurück in den Kinosaal. Nicht dass der Film sie plötzlich interessierte, aber von ganz Hinten hatte sie das Pärchen vier Reihen vor sich gut und unbemerkt im Blick. Das Ende würde sie ohnehin verpassen, um nicht entdeckt zu werden.

Montag, 16. Februar 2009

Im Kino I


Larissa hielt die Hand ihrer Mutter fest umklammert, als sie gemeinsam den Kinosaal betraten. Sie war froh, dass Flynn und Annika heute schon abgeholt worden waren und sie ihre Mama wieder für sich alleine haben konnte. Im Saal war es dunkel. Larissa blinzelte, während sich ihre Augen an das Dämmerlicht gewöhnten. Direkt vor ihnen suchte sich ein Vater mit seiner Tochter einen Platz in den hinteren Reihen. Das Mädchen hatte ungefähr ihr Alter. Ohne zu überlegen zog sie ihre Mutter in die gleiche Reihe.
„Willst Du wirklich so weit hinten sitzen?“
Larissa nickte nur und drängte sich an dem Mann und dem Mädchen vorbei. Ein stilles Lächeln lag auf ihrem Gesicht, als sie beobachtete wie ihre Mutter dem Mann im Vorbeigehen kurz zunickte.

Zwei Sitze weiter, ganz nah bei dem Mann, blieb sie stehen.
„Geh noch ein Stückchen weiter, es ist so viel freier Platz, da müssen wir uns nicht direkt neben die fremden Leute setzen.“
Ihre Mutter versuchte sie weiter zu schieben, aber Larissa blieb stehen und schüttelte ihren Kopf.
„Von hier aus kann man die Leinwand viel besser sehen – ich will nicht am Rand sitzen!“
„Dann gehen wir eben eine Reihe weiter vor.“
Es folgte eine kurze Diskussion zwischen Mutter und Tochter. Plötzlich mischte der Mann sich in ihre Diskussion ein:
„Also wegen uns können Sie sich gerne hier hinsetzen. In der Mitte sieht man ja am Besten. Außerdem wird es meiner Nichte sicher gefallen, wenn sie sich mit Ihrer Tochter über den Film unterhalten kann. Nicht wahr, Melinda?“
Die Angesprochene hatte ihre Arme vor der Brust verschränkt und sah Larissa finster an. Schließlich einigten sich die beiden Erwachsenen, dass die beiden Mädchen ja nebeneinander sitzen könnten. Ach – Ihre Tochter ist auch sechs Jahre alt? Was ein Zufall! Melinda auch. Nein, sie scheinen nicht auf die selbe Schule zu gehen, aber wir wohnen ja auch nicht in der Stadt. Was, Sie auch nicht? Ja, wo wohnen Sie denn dann?
Während sich die beiden Erwachsenen angeregt über die Köpfe der Mädchen hinweg unterhielten würdigte Melinda Larissa keines Blickes mehr. Diese lies sich davon nicht beeindrucken. Mit strahlendem Gesicht lauschte sie der Unterhaltung ihrer Mutter und des fremden Mannes.
„Das ist mein Onkel! Du hast mit Deiner Mutter hier gar nichts zu suchen!“ Melinda verschränkte ihre Arme und rutschte ein Stück weiter in den Sitz hinein, während sie Larissa leise anzischte. Die rutschte auch ein Stück tiefer in den Sessel, zuckte mit den Achseln und verschränkte ihre Arme vor der Brust.
In die Reihe vor ihnen schob sich das Pärchen, mit einer großen Tüte Popcorn und zwei Getränken bewaffnet. Larissa grinste, als sie sich wieder an das Spucken vor der Kinokasse erinnerte. Sie setzten sich an den äußeren Rand der Reihe auf einen Doppelsitz. Larissa deutete auf die Beiden und flüsterte:
„Igitt, die werden bestimmt gleich knutschen!“
Melinda antwortete nicht. Larissa drehte ihr den Kopf zu und sah dass sie es vorzog weiter mit schmollendem Gesicht vor sich hinzustarren.
„Pff! Leberwurst!“
Larissa beobachtete das Pärchen. Sie saßen ganz eng nebeneinander. Sie sah, wie er den Kopf zu der Frau hindrehte und ihr etwas ins Ohr flüsterte. Diese zuckte mit den Schultern, sah kurz zu ihm und hielt ihren Becher hoch. Er lachte und stieß mit ihr an. Larissa kapierte nicht, was das sollte und wandte ihre Aufmerksamkeit wieder ihrer Mutter und dem fremden Mann zu. Sie war sehr froh, dass sie den Mann gefunden hatten. Mama wäre sicher deprimiert gewesen, wenn sie das Paar vor sich beobachtete hätte. Aber jetzt sah sie, wie ihr Gesicht strahlte, so wie es schon lange nicht mehr gestrahlt hatte. Sie kniff ihre Augen zusammen während sie im Halbdunklen das Gesicht ihrer Mutter in sich aufnahm. Mama war immer schön, aber jetzt, eben, in diesem Moment war sie besonders schön! Keine Spur mehr von den Sorgenfalten, die sich oft so tief auf ihrer Stirn abzeichneten. Larissa sah zu dem fremden Mann. Er war groß und stark. Sie schloss kurz die Augen, um seine tiefe, ruhige Stimme besser hören zu können. Genauso hatte sie sich die Stimme ihres Vaters immer vorgestellt!
Dann ging plötzlich das Licht an und die Stimme einer Frau hallte durch den Saal:
„Eis! Will jemand Eis?“
„Na, ihr zwei Hübschen? Habt ihr Lust auf Eis?“ Der Mann sah sie mit fragendem Gesicht an.
Larissa starrte ihn mit großen Augen an und nickte. Melinda schmollte weiter und schüttelte heftig den Kopf. Er legte seine Hand auf Melindas Arm, zwinkerte ihr zu und flüsterte ihr etwas ins Ohr, ganz leise, so dass nur sie es hören konnte. Sie sah ihn an und lächelte. Larissa spürte einen Stich in ihrem Bauch, als sie das beobachtete und kuschelte sich unwillkürlich an ihre Mutter an.
Der Mann sah zu ihrer Mutter hin: „Wollen Sie auch ein Eis?“
Die schüttelte lachend den Kopf, während sie Larissa mit einer sanften Bewegung über das Haar strich. Der Mann winkte die Eisverkäuferin zu ihnen. Larissa starrte sie mit offenem Mund an. Die Beine der jungen Frau leuchteten, sie trug eine weiße Wollstrumpfhose und darüber einen dunklen Rock, der über ihren Knien aufhörte. Larissa sah der Frau ins Gesicht und ihr fuhr ein Schauer über den Rücken. Die Augen waren dunkel geschminkt, mit einer schwarzen Verzierung an der linken Seite und ihre Lippen waren lila. Die dunklen Farben bildeten einen starken Kontrast zu dem blassen Gesicht. Unsicher streckte sie ihre Hand aus, als die Frau ihr augenzwinkernd das Eis überreichte.

Donnerstag, 12. Februar 2009

Vorsicht Prüfung!


Nachdem ich mit meinem doch schon etwas ältlichem Gehirn Ende des Monats eine Prüfung habe, wird der Block bis dahin nur einmal pro Woche erneuert.
Außer mich packt plötzlich die Langeweile
(was ich momentan nicht ganz glaube)

Ab März wieder gewöhnliche Update-Frequenz Montag & Donnerstag

Montag, 9. Februar 2009

An der Kinokasse II


„Zwei Karten für Studenten.“
Horst zog die Augenbrauen hoch, zog seine dunkle Nickelbrille auf die Nasenspitze und musterte den jungen Mann vor der Glasscheibe über seinen Brillenrand hinweg.
„Zweimal Student, soso“ Er lies seinen Blick weiterschweifen und sah hinter dem jungen Mann eine junge Frau stehen, die sich gerade zu einem Mädchen mit dunklen, langen Zöpfen umgedreht hatte.
Ein Pärchen also.

Horst schnaubte. Er konnte es nicht leiden, wenn frisch verliebte Pärchen in die Nachmittagsvorstellungen gingen. Immerhin kamen nachmittags die Kinderfilme. Diese Pärchen interessierten sich meist nicht für die Filme, sondern saßen lieber knutschend auf einem der Zweisitzer. Horst hatte schon Enkelkinder. Die waren zwischen 5 und 8 Jahren alt. Musste es sein, dass Kinder in dem Alter knutschende Pärchen beobachten müssen anstatt sich in Ruhe ihren Film anzusehen?
Er sah sich den jungen Mann noch einmal genau an, als er ihm die beiden Karten unter dem Glas durchschob. Was er wohl studierte? Dem langen, schwarzen Trenchcoat und dem roten Halstuch nach zu urteilen wohl irgendetwas Extravagantes. Sein Dreitagesbart unterstrich das legere Auftreten, wirkte allerdings nicht ungepflegt. Horst seufzte, dem Äußeren nach zu urteilen war der junge Kerl sicherlich der Typ der im abgedunkelten Kinosaal sein Mädchen verführen will – ganz egal ob es eine Kindervorstellung war oder nicht. Als er das Wechselgeld durchreichte trafen sich für einen kurzen Moment ihre Blicke. Überrascht sah er in zwei offene, helle Augen, die ihn mit einem gewinnenden Lächeln ansahen. Er konnte nicht anders und nickte dem Kerl kurz zu bevor er sich der nächsten Kundin zuwandte. Vielleicht war er ja doch nicht so verkehrt. Er nahm sich vor von der Vorführkammer aus die Beiden im Auge zu behalten.
Als die Mutter für sich und ihre Tochter die Karten gekauft hatte, zwinkerte er dem Mädchen zu:
„Wie alt bist Du denn?“
„Sechs“
„Ah, dann gehst Du schon zur Schule, stimmts?“
Das Mädchen nickte. Horst hob kurz die Hand, um den beiden zu bedeuten einen Augenblick zu warten.
„Ich glaube, ich hab da noch was für Dich“
Das Mädchen streckte ihren Kopf und ging auf die Zehenspitzen. Sie ließ keine seiner Bewegungen aus den Augen. Als sie das große Glas mit den vielen, bunten Gummibärchen in seiner Hand sah huschte ein Lächeln über ihr Gesicht. Mit einer langen Pinzette griff Horst ein paar Bärchen und legte sie in ihre ausgestreckte Hand.
„Dann wünsch ich Dir und Deiner Mutter viel Spaß beim Film.“
„Danke“ Sie schob sich gleich ein Bärchen in den Mund. Ein Rotes.
Die Mutter nickte ihm lächelnd zu und schob dann ihre Tochter in Richtung Kinosaal.
Horst sah den beiden nach. Es war nicht viel los heute Nachmittag. Seufzend schlug er seine Zeitung auf und wartete, ob vielleicht noch ein paar Kunden kommen würden.

Donnerstag, 5. Februar 2009

An der Kinokasse I


Agnes hielt ihren Kopf gesenkt und beobachtete wie ihre Stiefel über das Kopfsteinpflaster liefen. Sie spürte die Hand, die auf ihrer rechten Schulter lag und sie mit ihrem Gewicht ein wenig nach unten drückte. Sie wusste, dass es Lasses Hand war, aber sie wusste nicht ob es ihr angenehm war oder nicht. Sie wollte auch nicht weiter darüber nachdenken. Es war schwer niemanden anzurempeln, wenn man nur auf seine Füße starrte. Aber sie spürte wie die Menschen, die ihr entgegen kamen, automatisch auswichen und sie war froh darüber. Ein buntes Plakat der Kinoauslage zog ihren Blick auf sich. Sie blieb stehen.

„Lasse?“ Sie sah ihn nicht an. Stattdessen betrachtete sie andächtig das Plakat.
„Was ist?“ Sie hörte seine Stimme direkt neben ihrem Ohr. Seine Hand ruhte immer noch auf ihrer Schulter und sie konnte die Wärme spüren, die sein Körper ausstrahlte.
Wenn sie mutig gewesen wäre, dann hätte sie ihn gefragt warum er ihr eigentlich seit dem Seminarende hinterherlief. Aber sie war nicht mutig. Ihn zu fragen hätte bedeutet ihn zu konfrontieren. Von ihm eine Aussage zu erwarten. Sie sog tief Luft in ihre Lungen ein. Es war kalt. Wahrscheinlich wusste er selbst nicht warum er ihr folgte. Dann wandte sie ihm ihren Kopf zu.
„Lust auf Kino?“
Sie konnte seine obere Zahnreihe sehen als er lächelte. Er legte den Kopf schief und nickte kurz in Richtung des Plakates.
„Willst Du in den Film?“
„Warum nicht? Ist glaub ich auch der Einzige, der hier im Nachmittagsprogramm läuft. Insofern ist die Auswahl nicht so groß.“ Sie versuchte ein Lächeln.
Seine Hand drückte kurz ihre Schulter während er mit seinen Achseln zuckte.
„Warum nicht?“ Er nahm die Hand fort, als er sich Richtung Kasse drehte.
Plötzlich war ihre Schulter kalt. Sie konnte die Wärme seiner Finger noch fühlen, aber es wurde langsam kälter. Und sie fühlte sich wieder leichter an. Sie zog sie kurz hoch um sie gleich darauf wieder fallen zu lassen. Erneut fiel es ihr schwer zu entscheiden was angenehmer war: Die Hand auf der Schulter oder die Kälte, die sie hinterlassen hatte.
Sie stellte sich hinter Lasse an die Kasse und als er zwei Karten bestellte und seinen Geldbeutel zückte hätte sie eigentlich protestieren müssen. Aber sie sagte nichts. Nicht dass sie unbedingt eingeladen werden wollte - sie hätte auch selbst bezahlen können. Sie verschränkte ihre Arme über ihrem Bauch und drückte sie fest an sich. Sie wollte nicht wirklich eingeladen werden, aber sie wollte auch keine Diskussion mit Lasse anfangen. Um ganz ehrlich zu sein, war es ihr egal, sie hatte keine Kraft, um sich über so eine banale Frage Gedanken zu machen. Aber war es wirklich banal, ob sie sich von Lasse einladen lies oder nicht? Sie blies hörbar die Luft zwischen ihren Lippen aus, bis diese durch den Luftstrom bewegt wurden. Ein Kichern neben ihr lies sie umsehen. Da stand ein kleines Mädchen, das sie mit großen, dunklen Augen anstrahlte und auch die Luft hörbar ausatmete. Dabei streckte sie ihre Zunge noch raus mit dem Ergebnis, dass feine Spucketropfen aus ihrem Mund strömten.
„Larissa!“ Ihre Mutter zog sie energisch an der Hand. Sie sah sehr aufgebracht aus, aber das Mädchen schien wenig beeindruckt.
Agnes lächelte schwach, bevor sie sich wieder umwandte. Lasse hielt ihr die Karten vor die Nase und zwinkerte ihr zu. Als sie sich mit ihm von der Kasse abwandte spürte sie den Blick des Kassierers in ihrem Rücken. Sie schloss für einen kurzen Moment ihre Augen und sah sein Gesicht deutlich vor sich. Wie er sie beide mit seinen verwaschenen Augen über seine schwarzgeränderte Nickelbrille inspizierte und dabei unentwegt auf einem Zahnstocher kaute. Agnes lief ein Schauer über den Rücken, als sie daran dachte. Mit seiner einen Hand hatte er ständig die lockigen, grauen Haare gezwirbelt, so als wisse er mit seinen Händen nichts anzufangen. Sie zog ihre Stirn in Falten und drehte sich noch mal zu dieser seltsamen Gestalt um. Wieso ließ man solche Leute die Kasse machen? Da kommt doch irgendwann keiner mehr! Zu ihrer Überraschung kümmerte sich der seltsame Kauz überhaupt nicht mehr um sie oder um Lasse. Stattdessen war er völlig damit beschäftigt dem kleinen Mädchen Süßigkeiten aus einer Dose anzubieten und mit der Mutter zu sprechen. Agnes kniff ihre Lippen zusammen. Seltsam, wie er mit dem Mädchen und der Frau umging wirkte er mit einem Mal viel netter.
„Popcorn?“ Lasses Stimme riss sie aus ihren Gedanken.
Schon wieder eine Frage und schon wieder wusste sie keine Antwort. Sie zog ihre Schultern hoch. Lasse schien es als ein „Ja“ zu werten.
Als sie den dunklen Kinosaal betraten spürte sie seinen warmen Körper neben sich. Wieder konnte sie sich nicht entscheiden, ob ihr das angenehm war oder nicht. Seufzend griff sie in das Popcorn, das Lasse ihr hinhielt.

Montag, 2. Februar 2009

Draußen, Fußgängerzone II


„500 Gramm gebrannte Mandeln, bitte.“ Bernd warf einen prüfenden Blick Richtung Himmel, bevor er die Nüsse entgegen nahm. Trocken und noch nicht richtig dunkel. Er sah sich um, nahm dann den großen, schwarzen Koffer und stellte sich an einen der Stehtische.
Ein Herr mit schwarzgeränderter Brille, der am Nachbartisch stand, starrte mit leicht geöffneten Mund auf seinen Koffer. Bernd nickte ihm zwischen zwei Nüssen zu, woraufhin der Herr schnell seinen Blick abwandte und begann in seinen Taschen zu wühlen. Bevor er sich mit hastigen Schritten entfernte, sah er sich nach allen Seiten um. Bernd zuckte mit den Achseln und lies seinen Blick über den Platz schweifen.

Sein Blick blieb an einem alten Mann hängen. Vornübergebeugt saß der Alte auf einer der Bänke am Rande des Platzes. Sein Blick war hinter seinen strähnig-fettig dunklen Haaren versteckt. Bernd runzelte die Stirn und sah ihn genauer an. Das dunkle Jackett mit feinen Nadelstreifen sah vorne an den Ärmeln sehr abgewetzt aus. Außerdem konnte Bernd ein Loch an der einen Tasche ausmachen. Die dunkle Hose sah dagegen noch relativ neu aus. Bernd zog die Augenbrauen hoch, als sein Blick zu den Schuhen wanderte. Sie waren frisch geputzt und glänzten wie neu. Der Alte hielt eine Papiertüte in der Hand und warf mit einer ruhigen, gleichmäßigen Bewegung der anderen Hand von Zeit zu Zeit ein paar Brotkrümel auf das Kopfsteinpflaster zu seinen Füßen. Dort hatte sich ein ganzer Schwarm Tauben und Spatzen gesammelt. Emsig liefen die Vögel vor ihm auf und ab. Ein paar Vorwitzige sprangen sogar zwischen seinen Füßen herum. Bernd holte tief Luft, während er das ganze Bild auf sich wirken lies. Der Alte, dessen Blick man nicht sehen konnte und die Vögel, die ihn mit großen und leeren Augen anstarrten. Er spürte einen kleinen Stich und wandte seinen Blick ab. Das Bild rührte ihn. Wahrscheinlich war der Alte ein Penner, stank 100 Meter gegen den Wind nach Alkohol. Aber warum sollte ein Penner, der selbst kein Geld hat, seine Brötchen an Vögel verfüttern? Vielleicht war er auch einfach nur ein verwirrter, armer Mann? Einsam. Wie musste man wohl gelebt haben, um eines Tages so zu enden? Bernd holte noch einmal tief Luft, bevor er seinen Blick weiter wandern lies.
Direkt neben dem Alten hatte sich eine alte Dame mit einem jungen Mann gesetzt. Die Dame sah deutlich gepflegter aus als der Alte. Bernd runzelte die Stirn, als er bemerkte wie sie sich mit einer Hand an ihren Schal klammerte, während sie die andere fest bei dem jungen Mann untergehakt hatte. Sie hielt den Schal so fest, als sei es ein besonderer Schatz. Der Abstand auf der Bank zwischen der Dame und dem Alten machte unmissverständlich deutlich, dass die drei wohl nicht zusammengehörten. Wahrscheinlich führte die Oma ihren Enkel aus, oder umgekehrt. Bernd musste schmunzeln, als er bemerkte wie sich die alte Frau an den jungen Mann lehnte. Wäre der Altersabstand zwischen den Beiden nicht, hätte er genauso gut glauben können, dass es sich um ein Liebespaar handeln würde.
Die letzte Nuss lenkte seine Aufmerksamkeit wieder zurück zu seinem eigentlichen Vorhaben. Er warf noch einen Blick zum Himmel. Immer noch Trocken und bereits etwas Dunkler. Achselzuckend packte er erneut seinen großen, schwarzen Koffer und schleppte ihn diesmal quer über die Straße, direkt neben das Schild, dass diesen Platz für Straßenkünstler auszeichnete. Während er bedächtig den Inhalt seines Koffers auspackte und zurechtlegte beobachtete er im Augenwinkel die Menschen, die an dem Platz standen oder saßen. Das Herrichten der Utensilien war für Bernd bereits Teil der Aufführung. Je neugieriger er die Menschen machen konnte, um so mehr blieben stehen. Und mit jedem der stehen blieb wuchs die Wahrscheinlichkeit dass einer von ihnen Geld in seine Mütze werfen würde. Bernd hatte sich ganz große Straßenkünstler zum Vorbild genommen und ahmte deren große, bedeutungsschwere Bewegungen nach. Der Erfolg war allerdings mäßig. Als er endlich die erste Fackel anzündete standen nur wenige Menschen in seiner Nähe. Er seufzte und nahm sich vor diese Prozedur vor seinen Freunden zu verfeinern. Aber als er die Musik anstellte, die er mit viel Sorgfalt ausgewählt hatte um seine kleine Show zu begleiten, blieben schon mehr Menschen stehen. Bevor er mit brennenden Fackeln jonglierte verschaffte er sich zunächst immer Aufmerksamkeit in dem er große Feuerfontänen spukte. Den Höhepunkt seiner kleinen Show wollte er heute mit dem brennenden Diabolo markieren. Aber bis dahin war noch etwas Zeit.
Gerade als Bernd die zweite Fontäne gespuckt hatte, und sich bereits ein größerer Kreis um ihn gebildet hatte, erkannte er ein Bekanntes Gesicht mit dunklen Haaren und Drei-Tages-Bart.
„Hallo Lasse!“, formten seine Lippen ohne die Worte auszusprechen.
Der Angesprochene verstand ihn dennoch. Er verlangsamte seinen Schritt und nickte ihm flüchtig zu. Bernd runzelte die Stirn. Normalerweise blieb Lasse stehen und blieb bis zum Ende der Show, wenn er schon vorbei kam. Da bemerkte er, dass Lasses Arm mit einer anderen Person verbunden war. Eine junge Frau mit grüner Mütze, die mit schnellen Schritten leicht vornüber gebeugt marschierte. Bernd blies eine kleine Fontäne in ihre Richtung, um ihre Aufmerksamkeit zu erhalten. Ohne Erfolg. Er sah noch einmal zu Lasse, bemerkte dass dieser ihn immer noch ansah und formte eine Frage mit seinen Lippen.
„Ist das Deine neue Freundin?“
Lasse lächelte schwach und zuckte mit seinen Achseln. Hatte er ihn nicht verstanden? Bevor Bernd noch einmal fragen konnte war Lasse schon in der Menge verschwunden. Die ganze Szene hatte nur wenige Sekunden gedauert. Er musste sich jetzt wieder auf die Show konzentrieren, bevor er das Publikum vergraulen würde. Seufzend entzündete er zwei weitere Fackeln für die Jonglage.