Donnerstag, 5. März 2009

Auf der Straße II


„Hat euch beiden der Film gefallen?“, Birgit kniete sich hin, um Larissa den Schal fester zuzubinden. Sie lächelte Melinda kurz zu.
Larissa nickte. Ihre Wangen waren tiefrot. Birgit berührte sie leicht mit der Hand. Glühendheiß, beinahe etwas verschwitzt.
„Du und Deine Fernsehwangen...“, sie murmelte es kaum hörbar und schon während sie den Satz aussprach war sie sich schon nicht mehr sicher, ob es tatsächlich der Film war, der die heißen Wangen zu verantworten hatte.

Ihr Blick wanderte wieder zu Melinda. Sie wurde von einem Augenpaar fixiert, dass unter der in tiefe Falten gelegten Stirn kaum zu erkennen war. Die Augen waren zu Schlitzen geformt, der Mund zusammengekniffen und Melinda machte nicht den Anschein als wollte sie auf ihre Frage antworten. Birgit zog ihre Augenbrauen vorsichtig ein Stück nach oben und lächelte ihr noch einmal kurz zu, bevor sie sich wieder aufstellte.
Phil beugte sich zu dem Mädchen hinunter, raunte ihr etwas zu, während er Birgit zuzwinkerte. Melinda schüttelte erst ihren Kopf, dann nickte sie heftig. Schließlich seufzte sie, hob kurz die Schultern hoch und lies sich von Phil Richtung Ausgang schieben. Birgit legte ihre Hand auf Larissas Schulter.
Draußen fiel ihr Blick auf das Pärchen, welches eine Reihe vor ihnen gesessen hatte. Als sie sah, wie die junge Frau sich auf ihre Zehenspitzen stellte, um dem jungen Mann zum Abschied ein Küsschen zu geben, spürte sie einen kleinen Stich in der Magengegend. Ob das die Anfänge der ersten, großen Liebe waren? Für einen kurzen Moment stand ihr wie aus dem Nichts ein Bild vor Augen. So vertraut und doch schon fast vergessen, oder wohl eher gehofft, dass es vergessen gewesen wäre. Sie fühlte sich wie vom Donner gerührt und blieb für einen kurzen Moment stehen. Fast unmerklich wanderte ihre Hand auf ihr Dekolleté. Der sanfte Druck auf dem Brustbein beruhigte sie und der Schrecken des Gespensterbildes fiel langsam wieder von ihr ab. Bevor sie weiterging nahm sie einen tiefen Atemzug. Zurück blieb das schale Gefühl, welches sie nur zu gut kannte. Verhasst und vertraut zugleich.
Phil zwinkerte ihr zu. Seine Hand berührte beinahe ihren Arm, während sie liefen. Ihr Lachen war viel zu schrill und zu laut. Aber es half das schale Gefühl zu dämpfen. Locker lies sie ihren Arm wieder fallen, während sie ihren Kopf leicht beugte und Phil mit einem gekonnten Augenaufschlag anlächelte. Aber irgendetwas an diesem Blick war gekünstelt, unecht, auch wenn es nicht zu greifen war.
Im Augenwinkel sah sie den jungen Mann jetzt alleine an der Ecke zur Straße stehen. Er war hübsch anzusehen und hatte bestimmt keine Schwierigkeiten Frauen kennen zu lernen. Birgit hätte viel darauf verwettet, dass sein Handy voller Telefonnummern der unterschiedlichen jungen Frauen war. Als sie kurz ihren Kopf wandte sah sie das Leuchten in seinen Augen. Wieder tauchte das vergessen geglaubte Bild vor ihr auf. Diesmal scheuchte sie es nicht mit ihrem Erstarren weg. Diesmal sah sie ihrem Bild in die Augen und sie erkannte das selbe Leuchten in ihnen. Plötzlich wusste sie wieder warum sie sich auf alles eingelassen hatte – obwohl sie von Anfang an geahnt hatte, dass es nicht gut enden würde. Ein Feuer dass so heiß brennt erzeugt ein so starkes Leuchten, dass es alles um es herum anzieht. Aber es verbrennt und verglüht viel zu schnell. Es lässt Dich alleine stehen in der Dunkelheit, wo Dich nichts mehr wärmen kann.
Sie drückte Larissas Schulter ein wenig fester und seufzte. Der Körperkontakt lies sie langsam wieder auftauchen.
„Wenn ihr wollt, dann können wir euch nach Hause fahren?“, Phil hatte den Kopf leicht schief gelegt und sah sie an.
Eigentlich hätte sie ablehnen und auf ihr Monatsticket verweisen sollen. Wozu bei einem eigentlich fremden Mann ins Auto steigen, dessen Nichte offensichtlich von der ganzen Begegnung nicht besonders begeistert war? Sie sah ihn an und spürte eine leichte Wärme in sich aufsteigen. Aber warum das Angebot ausschlagen und gleich wieder mit den eigenen Gedanken alleine sein? Warum nicht alles noch ein wenig hinausschieben – die Erinnerungen, die Leere und die bohrenden Fragen? Sie nickte Phil zu und lächelte.
Sie unterhielten sich angeregt, während sie zum Auto liefen. Larissa kuschelte sich bei ihr an, sie wirkte erschöpft und müde. Selbst Melinda schien ihr Dauertrotz allmählich zu anstrengend zu werden, und sie lehnte sich bei Phil an.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen