Montag, 2. März 2009

Auf der Straße I


Lasse hatte seine Hände tief in den Taschen seines Trenchcoats vergraben. Den Kopf vornübergebeugt, den Blick fest auf die Spitzen seiner Schuhe geheftet. Sein Schritt war langsam. Er war mittelmäßig verwirrt, als er neben Agnes den Kinosaal verließ und in die Dunkelheit draußen auf der Straße trat.

„Tschüß dann, ich geh mal so langsam nach Hause...,“ Agnes Hände berührten ihn an den Schultern, als sie sich auf die Zehenspitzen stellte, um ihn links und rechts auf die Wangen ein Küßchen zu geben.
Bei dieser Prozedur umfasste er sie leicht an der Taille und versuchte ihren Blick aufzufangen. Aber ihre Augen wichen ihm aus. Er seufzte leise. Dann kniff er ihr freundschaftlich in die Wange und zwinkerte ihr zu:
„Du wirst sehen: Wenn Du in Deine WG kommst wird Dir gleich irgendwer ausrichten, dass Bastian versucht hat Dich anzurufen.“
Sie nickte leicht, sah ihn aber immer noch nicht an. Dann plötzlich hob sie ihren Blick und zuckte mit ihren Achseln:
„Egal. Nicht so wichtig. Was ist mit Dir und...“, hier zögerte sie einen Moment, fast als würde ihr der Name nicht mehr einfallen, vielleicht war sie sich auch mitten im Satz nicht mehr sicher, ob sie weiter sprechen sollte, „Janina?“
Ein leises Lächeln huschte über sein Gesicht. Seine dunklen Augen blitzten für einen kurzen Moment auf:
„Weißt Du – Pack schlägt sich und Pack verträgt sich. Ich wette bis heute Nacht um zwölf hab ich eine SMS von ihr. Und wenn nicht -“, hier zuckte er kurz mit den Schultern, „naja, wenn nicht, dann ruf ich sie eben kurz mal an.“
„Kennt ihr euch schon lange?“
„Ne Zeit...“, er dehnte die Worte und wandte kurz den Blick ab, bevor er weiter sprach, „Soll ich Dich nach Hause bringen?“
„Nein danke, wir sind hier ja nicht in der Großstadt wo man fürchten muss in einer dunklen Ecke überfallen und vergewaltigt zu werden. Außerdem ist es noch nicht wirklich spät. Ich wollte noch schnell was einkaufen, bevor ich heim fahre.“
Lasse nickte. Sie streckte sich noch einmal zu ihm hoch, um erneut Küßchen zu verteilen. Er lies es geschehen. Für einen kurzen Moment hatte er den Eindruck, dass Agnes einen ganz kleinen Tick länger als nötig ihre Wange an seine drückte. Im nächsten Augenblick war der Moment verstrichen und er war sich plötzlich nicht mehr sicher. Oder hätte er es nur gern gehabt, wenn es so gewesen wäre? Egal. Hoffentlich behielt er Recht und dieser Bastian würde sich wirklich bei ihr melden. Lasse hatte keine Ahnung, wie er sie noch trösten sollte. Das heißt er hatte da so eine Idee … aber er wurde das Gefühl einfach nicht los, dass seine kleine Schwester ihn ansah, wenn er in Agnes große Augen blickte. Er strich sich kurz über die Stirn, wie um den Gedanken schnell wieder fort zu wischen.
Als sie sich verabschiedeten wandte er sich um und tat als würde er in die andere Richtung fortgehen. Tatsächlich blieb er jedoch nach ein paar Schritten wieder stehen und beobachtete die anderen Kinobesucher, wie sie langsam aus dem Kino gedrängelt kamen. Die meisten waren Kinder zwischen, er war nicht so gut im Alter von Kindern schätzen, aber wahrscheinlich so zwischen fünf und zwölf Jahren. Dazu noch ein paar Erwachsene, für die Kleineren. Aber alles in allem kamen höchstens ein Dutzend Personen aus der Passage, die zum Kino führte, heraus getreten. Seine Aufmerksamkeit fiel auf zwei kleine Mädchen, die stumm und mit gesenkten Köpfen nebeneinander her liefen. Sie stachen ihm ins Auge, weil sie im Gegensatz zu den anderen Kindern so still und überhaupt nicht aufgedreht waren. Und obwohl sie so nah beieinander liefen schienen sie nichts miteinander zu tun zu haben. Das laute Lachen einer Frau lenkte seinen Blick ab. Sie hatte ihre Hand auf der Schulter des einem Mädchen. Die Hand löste sich ein wenig, als sie während dem Lachen ihren Kopf in den Nacken warf. Sie war um einige Jahre älter als Lasse und schenkte ihrem Begleiter, einem Mann so um die vierzig, ein strahlendes Lächeln. Dieser zwinkerte ihr zu. Lasse zog seine Stirn in Falten. Die beiden Erwachsenen flirteten ganz offensichtlich miteinander. Jetzt verstand er die beiden Mädchen viel besser. Das war ja peinlich, wenn die eigenen Eltern sich in der Öffentlichkeit offensichtlich so daneben benahmen! Er sah den Vieren nach, wie sie sich langsam in die Fußgängerzone schoben.
War ich mit meinen Eltern jemals im Kino? Der Gedanke schoss ihn mit einer Plötzlichkeit durch den Kopf. Er konnte sich nicht erinnern.
Warum kann ich mich denn verdammt nochmal nicht an so was erinnern?
Das Surren seines Handys erlöste ihn von der langsam auftauchenden Melancholie. Er nahm es aus der Tasche und sah auf das Display. Eine SMS. Er brauchte gar nicht nachzusehen, er wusste schon von wem die war. Er sah dennoch nach. Sie war von Janina. Mit einem breiten Grinsen schob er es zurück in seine Tasche, ohne die SMS gelesen zu haben. Pack schlägt sich und Pack verträgt sich...

1 Kommentar:

  1. So,
    Prüfung und sonstige Schrecklichkeiten nun endlich hinter mir gelassen!
    Jetzt kann ich mich wieder dem Experiment offen zuwenden.
    Wünsche viel Spaß beim lesen, freue mich auch über Feedback jeglicher Art - sonst schreibt man ja nur so ins Leere hinein...
    Grüße
    Kryps

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