Donnerstag, 5. Februar 2009

An der Kinokasse I


Agnes hielt ihren Kopf gesenkt und beobachtete wie ihre Stiefel über das Kopfsteinpflaster liefen. Sie spürte die Hand, die auf ihrer rechten Schulter lag und sie mit ihrem Gewicht ein wenig nach unten drückte. Sie wusste, dass es Lasses Hand war, aber sie wusste nicht ob es ihr angenehm war oder nicht. Sie wollte auch nicht weiter darüber nachdenken. Es war schwer niemanden anzurempeln, wenn man nur auf seine Füße starrte. Aber sie spürte wie die Menschen, die ihr entgegen kamen, automatisch auswichen und sie war froh darüber. Ein buntes Plakat der Kinoauslage zog ihren Blick auf sich. Sie blieb stehen.

„Lasse?“ Sie sah ihn nicht an. Stattdessen betrachtete sie andächtig das Plakat.
„Was ist?“ Sie hörte seine Stimme direkt neben ihrem Ohr. Seine Hand ruhte immer noch auf ihrer Schulter und sie konnte die Wärme spüren, die sein Körper ausstrahlte.
Wenn sie mutig gewesen wäre, dann hätte sie ihn gefragt warum er ihr eigentlich seit dem Seminarende hinterherlief. Aber sie war nicht mutig. Ihn zu fragen hätte bedeutet ihn zu konfrontieren. Von ihm eine Aussage zu erwarten. Sie sog tief Luft in ihre Lungen ein. Es war kalt. Wahrscheinlich wusste er selbst nicht warum er ihr folgte. Dann wandte sie ihm ihren Kopf zu.
„Lust auf Kino?“
Sie konnte seine obere Zahnreihe sehen als er lächelte. Er legte den Kopf schief und nickte kurz in Richtung des Plakates.
„Willst Du in den Film?“
„Warum nicht? Ist glaub ich auch der Einzige, der hier im Nachmittagsprogramm läuft. Insofern ist die Auswahl nicht so groß.“ Sie versuchte ein Lächeln.
Seine Hand drückte kurz ihre Schulter während er mit seinen Achseln zuckte.
„Warum nicht?“ Er nahm die Hand fort, als er sich Richtung Kasse drehte.
Plötzlich war ihre Schulter kalt. Sie konnte die Wärme seiner Finger noch fühlen, aber es wurde langsam kälter. Und sie fühlte sich wieder leichter an. Sie zog sie kurz hoch um sie gleich darauf wieder fallen zu lassen. Erneut fiel es ihr schwer zu entscheiden was angenehmer war: Die Hand auf der Schulter oder die Kälte, die sie hinterlassen hatte.
Sie stellte sich hinter Lasse an die Kasse und als er zwei Karten bestellte und seinen Geldbeutel zückte hätte sie eigentlich protestieren müssen. Aber sie sagte nichts. Nicht dass sie unbedingt eingeladen werden wollte - sie hätte auch selbst bezahlen können. Sie verschränkte ihre Arme über ihrem Bauch und drückte sie fest an sich. Sie wollte nicht wirklich eingeladen werden, aber sie wollte auch keine Diskussion mit Lasse anfangen. Um ganz ehrlich zu sein, war es ihr egal, sie hatte keine Kraft, um sich über so eine banale Frage Gedanken zu machen. Aber war es wirklich banal, ob sie sich von Lasse einladen lies oder nicht? Sie blies hörbar die Luft zwischen ihren Lippen aus, bis diese durch den Luftstrom bewegt wurden. Ein Kichern neben ihr lies sie umsehen. Da stand ein kleines Mädchen, das sie mit großen, dunklen Augen anstrahlte und auch die Luft hörbar ausatmete. Dabei streckte sie ihre Zunge noch raus mit dem Ergebnis, dass feine Spucketropfen aus ihrem Mund strömten.
„Larissa!“ Ihre Mutter zog sie energisch an der Hand. Sie sah sehr aufgebracht aus, aber das Mädchen schien wenig beeindruckt.
Agnes lächelte schwach, bevor sie sich wieder umwandte. Lasse hielt ihr die Karten vor die Nase und zwinkerte ihr zu. Als sie sich mit ihm von der Kasse abwandte spürte sie den Blick des Kassierers in ihrem Rücken. Sie schloss für einen kurzen Moment ihre Augen und sah sein Gesicht deutlich vor sich. Wie er sie beide mit seinen verwaschenen Augen über seine schwarzgeränderte Nickelbrille inspizierte und dabei unentwegt auf einem Zahnstocher kaute. Agnes lief ein Schauer über den Rücken, als sie daran dachte. Mit seiner einen Hand hatte er ständig die lockigen, grauen Haare gezwirbelt, so als wisse er mit seinen Händen nichts anzufangen. Sie zog ihre Stirn in Falten und drehte sich noch mal zu dieser seltsamen Gestalt um. Wieso ließ man solche Leute die Kasse machen? Da kommt doch irgendwann keiner mehr! Zu ihrer Überraschung kümmerte sich der seltsame Kauz überhaupt nicht mehr um sie oder um Lasse. Stattdessen war er völlig damit beschäftigt dem kleinen Mädchen Süßigkeiten aus einer Dose anzubieten und mit der Mutter zu sprechen. Agnes kniff ihre Lippen zusammen. Seltsam, wie er mit dem Mädchen und der Frau umging wirkte er mit einem Mal viel netter.
„Popcorn?“ Lasses Stimme riss sie aus ihren Gedanken.
Schon wieder eine Frage und schon wieder wusste sie keine Antwort. Sie zog ihre Schultern hoch. Lasse schien es als ein „Ja“ zu werten.
Als sie den dunklen Kinosaal betraten spürte sie seinen warmen Körper neben sich. Wieder konnte sie sich nicht entscheiden, ob ihr das angenehm war oder nicht. Seufzend griff sie in das Popcorn, das Lasse ihr hinhielt.

1 Kommentar:

  1. Hab mir ja länger überlegt doch mit dem alten Mann weiterzumachen, der die Tauben fütterte. Aber dann war es doch zu verführerisch mit Agnes und Lasse weiter zu schreiben. :)
    Wer weiß wann ich die sonst wieder hätte auftauchen lassen können.

    Gruß

    Kryps

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