Sonntag, 23. Februar 2020

Da verstand ich die Wahrheit, vor der ich mein Leben lang davongelaufen war




Ein Wettbewerb auf Facebook hat mir meine Assassinengeschichte wieder in Erinnerung gerufen. Nachdem ich bei dem Wettbewerb nur einen Text mit 2.500 Zeichen einreichen durfte, musste ich den Ursprungstext um zwei Personen und eine Menge Details kürzen. Aber Kürzen tut so einem Text manchmal ja auch ganz gut. ;)

Für alle diejenigen unter euch, die trotzdem supergerne mal eine kleine Leseprobe aus meinem Assassinenprojekt Schattenruf lesen wollten, ist hier der Ausschnitt ungekürzt.

Viel Spaß beim Lesen & gebt mir gern Rückmeldung, ob euch der Ausschnitt neugierig macht auf die Geschichte, oder ob euch etwas fehlt.

Ich denke, wenn die Rohfassung für die Zeitloopgeschichte steht, werde ich mich endlich wieder der Assassinengeschichte zuwenden, Teil 1 überarbeiten und Teil 2 & 3 plotten und schreiben. Damit ich dann irgendwann in ferner Zukunft die drei Bände relativ zeitnah hintereinander veröffentlichen kann. Das heißt, dass noch jede Rückmeldung berücksichtigt werden kann, denn die Assassinengeschichte wurde bisher erst einmal überarbeitet und braucht ohnehin irgendwann noch motivierte Testleser. :)


„Nisha!” Prija sprang vom Tisch auf und rannte auf mich zu.
In der Hütte war kein Licht, statt die Fische zu füttern hatte Prija in der Dunkelheit auf mich gewartet. Dennoch konnte ich ihre Gesichtszüge ausmachen, als sie vor mir stand.
Es tut mir leid.
Ich hätte auf sie hören sollen.
Ihr Blick fiel auf den Fremden in meinem Rücken. „Wer ist das?”
„Weck Esha.” Ich berührte sie am Arm, versuchte zu lächeln, so zu tun als wäre alles in Ordnung.
„Bist du sicher?” Sie sah ihn an, nicht mich.
Wir wussten beide, woher er kam.
„Bitte”, flüsterte ich.
Jetzt schaute sie zu mir, mit einem Blick, der mein Herz in tausend Teile riss.
Nicht du. Bitte nicht auch noch du. Die Worte lagen in ihren Augen.
Ich schüttelte den Kopf, wollte irgendetwas sagen, um die Angst aus ihrem Gesicht zu vertreiben. Aber es war zu spät, jetzt, nachdem der Fremde mich gefunden hatte. Ich konnte Prija nicht länger ansehen, schaute auf den Boden und war froh über die Dunkelheit in der Hütte, hinter der ich meine Tränen verstecken konnte. Prija schnaubte. Als ich nicht reagierte, ließ sie mich stehen und verschwand in Eshas und Vanajas Zimmer. Das Knacken des Schlosses hinter mir riss mich aus meiner Starre. Ich lief zum Tisch, klopfte gegen das Fischglas und streute Futter auf die Wasseroberfläche.
„Setz dich”, murmelte ich, deutete auf einen der vier Stühle und ging zu dem Regal an der Wand.
Das Licht der Fische leuchtete nur den Tisch aus. Im Halbdunklen schöpfte ich Wasser in ein Glas, zerrieb getrocknete Beeren zwischen den Fingern und streute sie hinein.
„Was ist hier los?” Vanaja stand in der Tür, den Blick auf den Mann gerichtet, der sich an das Kopfende des Tischs gesetzt hatte.
Ich öffnete den Mund, wollte etwas sagen, aber es kam kein Laut über meine Lippen. Alles was ich sah war Esha, die an Vanaja vorbei in den Wohnraum trat. Einen Moment lang blieb sie auf der Schwelle stehen und betrachtete den Fremden. Ein Zittern ging durch ihren Körper. Sie blinzelte, ging zum Tisch und setzte sich dem Mann gegenüber. Das Licht der Fische warf einen grünen Schimmer auf ihr Gesicht.
„Hast du unserem Gast nichts zu trinken angeboten?”, fragte sie, ohne ihn aus den Augen zu lassen.
Wortlos stellte ich das Glas mit den zerriebenen Beeren neben dem Hut ab, der jetzt vor dem Fremden auf dem Tisch lag. Endlich konnte ich sein Gesicht sehen. Er war älter als Esha, vielleicht Mitte dreißig, seine braunen Haare hatte er zu einem Pferdeschwanz gebunden und er sah normal aus. Nicht wie jemand der wusste, wie er die Schatten rufen konnte. Dann traf mich der Blick seiner hellblauen Augen. Nichts an ihnen war normal. Starr und kalt waren sie, und sie sahen bis in mein Herz. Ich wich einen Schritt zurück.
„Ich nehme sie mit”, sagte er, als könnte er allein darüber entscheiden.
„Ist das so?” Esha zog die Augenbrauen hoch und warf ihre hellen Haare über die Schulter. „Du denkst vielleicht, ich freue mich, ein Maul weniger zu stopfen. Aber sie arbeitet hart und wir brauchen das Geld.”
Das schwache Licht der Fische betonte das Grün ihrer Augen. Ihr Lächeln erinnerte mich an eine Straßenkatze, kurz bevor sie die Zähne in das Fleisch ihrer Beute rammte. Die hellblauen Augen des Fremden durchbohrten Esha mit derselben Intensität wie mich. Trotzdem lehnte sie sich auf dem Stuhl zurück und erwiderte seinen Blick.
Ich stolperte bis zur Wand, konnte nicht glauben, was sich vor meinen Augen abspielte. Esha handelte um mich, als wären wir auf dem Viehmarkt. Ich bedeutete ihr nichts, das sollte mich nicht wundern, ich hatte es doch immer gewusst. Aber es war mir nicht egal, es ...
Ein Arm legte sich um meine Schultern, Finger strichen sanft meine Wange entlang und ließen eine feuchte Spur zurück. Ich drehte den Kopf und schaute in Prijas sandbraune Augen. Auf den Schmerz, der in ihnen lag. Sie sah mich mit dem gleichen Blick an, mit dem sie mich vor zwei Jahren angesehen hatte, nachdem Diyo verschwunden war. Ich hielt es nicht aus, presste die Lippen aufeinander, wollte auf keinen Fall weinen, nicht jetzt, nicht später, nie. Sie sollte auch nicht weinen, nicht wegen mir.
Auf dem Tisch schepperte es. Ich fuhr herum. Neben dem Fischglas lag ein Beutel, prallgefüllt mit Münzen.
„Du verletzt mein Mutterherz! Wie kannst du glauben, dass ich meine geliebte Tochter verkaufen könnte?” Esha legte die Hand auf die Brust und verdrehte die Augen.
Aber ich merkte, wie ihr Blick zurück zu dem Beutel glitt und begriff. Es war nicht genug, nie war es genug für sie. Mein Magen krampfte. Ein stummer Schrei formte sich in meiner Kehle, drängte hinaus. Ich biss die Zähne zusammen und bekam keine Luft mehr, verkrallte mich in Prijas Arm.
„Wenn du so an ihr hängen würdest, würdest du sie nicht in der Nacht vor die Tür schicken.” Das Gesicht des Mannes war genauso ausdruckslos wie seine Augen.
„Du tust mir Unrecht! Ich ...”, fing Esha an.
„Schau in den Beutel, es ist mein einziges Angebot”, unterbrach er sie. „Sie wird mit mir kommen, ob du das Geld nimmst oder nicht.”
Prija presste mich an sich, aber ich spürte sie kaum. Alles was ich sehen konnte war Esha. Wie sich ihr Gesicht vom Schock der Worte langsam erholte und das katzengleiche Lächeln auf ihre Lippen zurückkehrte. Sie beugte sich nach vorn. Ich drückte den Kopf gegen Prijas Schulter und schloss für einen Moment die Augen. Aber es half nicht gegen die Fragen, die in mir tobten. Nach neun Jahren, in denen ich alles getan hatte, was sie von mir verlangt hatte, wollte sie mich gegen einen Beutel Münzen eintauschen? Kaufte der Fremde damit auch meine Seele? War ich jetzt sein Besitz?
„Sie braucht da nicht hineinzusehen! Das verstehst du vielleicht nicht, aber Nisha ist Familie!” Vanaja riss Esha den Beutel aus der Hand und knallte ihn vor dem Fremden auf den Tisch. Sie schaute nicht zu ihm, sondern zu Esha.
Er hielt weiter Eshas Blick. „Damit kannst du dich in einem besseren Viertel niederlassen.”
„Ich sagte, Nisha steht nicht zum Verkauf, geht das nicht in deinen Kopf?” Vanaja ging einen Schritt auf ihn zu.
Sie war schmächtig, aber groß. Ich konnte sehen, wie sie ihre Füße in den Boden stemmte, die Arme verschränkte und sich bemühte, in die kalten Augen zu sehen, ohne zu blinzeln. Aber ihre Schultern zitterten. Er sah zu ihr hoch.
„Misch dich nicht in eine Angelegenheit ein, die du nicht verstehst.” Sein Blick fiel auf Prija. „Oder willst du mir deine Tochter im Tausch anbieten?”
Prija ließ mich los und ging einen Schritt auf Vanaja zu. Ich griff nach ihrem Arm, hielt sie fest. Sie durfte nicht mit ihm gehen, nicht für mich. Vanajas Mund klappte auf, als wollte sie etwas sagen, sie drehte sich zu uns, und ich sah die Panik in ihren Augen. Es gab ein Maß, wie viel ein Mensch aushalten konnte und Vanajas war längst ausgeschöpft.
„Stopp!” Ich zog Prija einen Schritt zurück und schob mich zwischen Vanaja und den Mann. „Lass sie! Sie hat dir nichts getan.”
Er verzog den Mund zu einem Lächeln. Ich hasste dieses Lächeln vom ersten Augenblick an.
„Offensichtlich möchte sie dich nicht verlieren. Ihr Wunsch kann in Erfüllung gehen, doch alles hat seinen Preis.” Der freundliche Tonfall konnte die Härte in seinen Augen nicht auslöschen.
Was sollte das? Er wollte Prija nicht, ich konnte es ihm vom Gesicht ablesen. Alles was er wollte, war Vanaja zu demütigen. Weil sie das tat, was Esha hätte tun müssen. Wahrscheinlich würde er Prija nur mitnehmen, um ihr an der nächsten Ecke die Kehle durchzuschneiden.
„Sie hat recht, Herr”, presste ich hervor und versuchte nicht zu blinzeln. „Es ist keine gute Idee, wenn du mich mitnimmst.” Ich sagte es nicht nur, um ihn abzulenken. Ich sagte es, weil es die Wahrheit war, und er mir ganz sicher auch die Kehle aufschneiden würde, wenn er dahinter kam.
„Tz.” Er schüttelte den Kopf, immer noch dieses Lächeln auf den Lippen, das nicht zu dem Ausdruck in seinen Augen passte. „Dein letzter Auftrag ist anders ausgegangen als geplant. Die falschen Leute werden Fragen stellen, und es wird nicht lange dauern, bis sie in der ganzen Stadt nach dem Mädchen suchen, von dem der Bäcker abstreiten wird, es jemals geschickt zu haben.”
Mit den Worten schlug die Erkenntnis ein. Das Gesicht des jungen Händlers stand mir vor Augen, zwischen den Schatten in dem kleinen Raum.
„Was hast du mit ihm gemacht?”, stieß ich hervor.
Der Mann zog die Augenbrauen hoch. „Sagen wir, sein Schicksal hat ihn eingeholt. Letztlich müssen wir alle die Konsequenzen unserer Handlungen tragen.”
Vanaja legte mir eine Hand auf die Schulter. Ich berührte ihre Finger, hoffte, sie würde nichts mehr sagen, hoffte, er würde sie vergessen.
„Warum sollte ich dich dennoch hier lassen?”, fragte er und sein Blick versenkte sich in meinen Augen.
„Weil ich verflucht bin.”
„Nisha!” Esha beugte sich auf ihrem Stuhl nach vorne. Aus ihren Augen schossen Blitze.
„Es stimmt!” Prija stellte sich neben mich. „Du sagst ihr doch jeden Tag, dass sie der Grund ist, warum du hier in diesem Loch gelandet bist!”
„So?” Der Mann schaute Esha über den Tisch hinweg an.
Im schwachen Licht der Fische wirkte seine Haut blass. Sein Blick schien jede Regung auf ihrem Gesicht zu erfassen. Vanaja griff nach Prijas und meiner Hand und wich ein paar Schritte zurück, bis wir wieder im Halbdunklen vor der Wand standen.
„Ihr müsst verschwinden. Jetzt!”, flüsterte sie. „Ich kenne ein paar Leute, bei denen ihr untertauchen könnt. Prija weiß, wo sie sind. Niemand wird euch dort finden.”
Ich schüttelte den Kopf, drückte ihre Hand. Sie wusste es, genau wie ich. Keiner konnte den Kindern der Nacht entkommen. Keiner. Trotzdem, ich hätte es versucht. Wenn Esha nicht jetzt vielleicht zum einzigen Mal erzählen würde, warum sie mich so hasste.
Mehrere Atemzüge lang sah sie dem Mann ins Gesicht. Als wollte sie seine Frage niederstarren. Sie hatte sich schon ihr neues Leben ausgemalt. Ohne mich. Und jetzt würde der Fremde das Geld wieder nehmen und mich hierlassen. Das würde sie mir niemals verzeihen. Ganz sicher nicht. Ein Klumpen bildete sich in meinem Magen, ich musste mich gegen die Wand stützen, um nicht zu fallen.
Langsam schüttelte Esha den Kopf.
„Verflucht, was für ein Unsinn. Ich war wütend, weil ich durch sie alles verloren habe. Aber verflucht ist sie nicht”, sagte sie und verzog die Lippen zu einem Lächeln, das wirkte, als müsste sie sich dazu zwingen.
Ihre Wangen waren einen Tick dunkler als eben.
„Und warum solltest du wegen einem Kind alles verlieren?”
Sein Blick schien bis auf den Grund ihrer Seele zu sehen und zum ersten Mal in dieser Nacht wich sie ihm aus. Mit der Fingerspitze fuhr sie die Maserung der Tischplatte nach und zuckte mit den Schultern.
„Die Piesterin, die ihr das Kind aus dem Bauch schneiden sollte, ist gestorben”, sagte Vanaja in die Stille hinein.
„Was?”, stieß ich hervor.
Prija und ich starrten Vanaja an. Wenn es nach Esha gegangen wäre, wäre ich niemals geboren worden? Ich wusste es doch, hatte es immer gewusst, wie sehr sie mich hasste. Warum tat es jetzt trotzdem so weh?
Eshas Hände waren zu Fäusten geballt, ihr Blick auf den Beutel mit den Münzen gerichtet. Ihre Chance auf ein Leben ohne mich, zum Greifen nahe und doch unerreichbar, wegen dem, was ich gesagt hatte. Ich presste die Lippen zusammen, schüttelte den Kopf. Warum hatte ich nicht einfach den Mund gehalten?
„Wieso wolltest du sie loswerden?”, fragte der Mann, als hätte er ein Recht darauf es zu erfahren.
Ich wollte es nicht hören, nicht mehr. Trotzdem sah ich zu Esha und wartete auf ihre Antwort, konnte nicht anders. Selbst wenn jedes ihrer Worte tief in mein Herz schneiden würde, bis ich von Innen heraus verblutete.
„Sie hatten mich alle vor ihm gewarnt.” Esha sah dem Mann in die Augen, ihre Stimme war brüchig. „Aber ich war naiv, hielt mich für unwiderstehlich und bin auf seinen Charme hereingefallen.” Sie lachte auf. „Ich bin ihm genau in die Falle gelaufen, und er hat sich alles genommen.” Ihr Blick traf mich. Es lag nicht ein Funken Liebe darin. „Als die Priesterin starb glaubten alle, dass ich durch ihn verflucht war.” Ihre Augen verengten sich. „Sein Kind hat mir alles gestohlen, was ich besessen habe. Meinen Status, meine Familie, meine Freunde. Sie ist keinen Deut besser als er!”
Die Worte blieben zwischen uns hängen. Ich sah in die Augen einer Frau, die mich mit ihrem ganzen Herzen hasste. Die Frau, die ich so oft versucht hatte zu hassen, und es nicht konnte. Auch jetzt nicht. In diesem Moment begriff ich die Wahrheit, vor der ich mein Leben lang davongelaufen war. Esha würde mir niemals verzeihen, ganz egal, was ich tat.

Ich wünsche euch noch einen schönen Sonntag & allen, die Fasching feiern fröhliche Faßnacht! :D Helau, Alaf, Narri!!! ;)
Als was verkleidet ihr euch dieses Jahr?

Kryps

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