Donnerstag, 11. Juni 2009

Du willst es doch auch!


Das junge Punkermädchen sitzt mit ein paar von ihren Freunden im Park. Den ganzen Nachmittag schon erzählen sie sich Geschichten, vom Leben, von ihren Träumen, von Lustigem und Traurigem. Eben hat Mickey seine Geschichte von seinem geplatzten Urlaubstraum mit einer ausschweifenden Geste beendet und dabei die Tüte mit dem Orangensaft zum Kippen gebracht. Lachend wirft sie ihren Kopf in den Nacken. Als sie sich wieder aufrichtet bleibt ihr ihr Lachen im Hals stecken. Ihr Blick heftet sich starr auf zwei Punkte, die langsam um eine Kurve des Parkweges schlendern und in Richtung ihrer Wiese steuern. Ihr ganzer Körper spannt sich an. Ihr Mund steht offen und sie vergisst für eine halbe Ewigkeit weiter zu atmen.

„Ich bin ein paar Tage bei meinen Großeltern. Meiner Oma geht es nicht besonders. Ich meld mich bei Dir, wenn ich wieder zurück bin, okay?“, seine Worte erklingen wieder in ihrem Ohr. Deine Großmutter sieht aber verdammt jung aus, denkt sie während sie mit einem lauten Schnaufen die restliche Luft aus ihren Lungen presst. Mit zusammengepressten Augen mustert sie das Mädchen in seinem Arm. Langes, blondes Haar, schlank wie eine Gazelle und unglaublich lange, dünne Beine, die auf hohen Stöckelschuhen vor sich hin staksen. Blondes Gift! Ihr Herz klopft heftig während ihr Blick zwischen den beiden hin und her wandert. Ein schönes Paar geben sie ab – er mit seinem dunklen, kurzen und wuscheligem Haar gibt den richtigen Kontrast zu seiner Begleiterin.
Sie sieht an sich herunter. Buntgebatikte Bluse auf weiter, dunkler Stoffhose. Unförmiger Körper, grüne Strähne im halblangen, stumpfbraunem Haar. Nicht besonders attraktiv. Ich würde an seiner Stelle mich auch lieber mit dieser eleganten Schönheit verabreden. Von wegen Großeltern! Lügner! Ein Stich fährt ihr ins Herz. Sie glaubt ein leises klirren zu hören – tief in ihr drin. Fühlt es sich so an, wenn einem das Herz bricht? Ihre Augen füllen sich mit Wasser. Sie fährt sich mit beiden Händen über ihr heißes, feuchtes Gesicht.
„Ist was mit Dir?“, jemand hält ihr eine Flasche unter die Nase und legt eine Hand auf ihre Schulter. Sie greift nach der Flasche und nimmt einen tiefen Schluck. Es schmeckt bitter und scharf, sie muss sich beherrschen es nicht gleich wieder auszuspucken. Wie Feuer brennt sich die Flüssigkeit langsam einen Weg durch ihren Körper, bis sie sich in einem wohlig-warmen Gefühl in der Magengegend auflöst. Sie schließt kurz ihre Augen und spürt der Wärme nach. Hastig nimmt sie noch einen zweiten Schluck.
„Ich muss los.“, schnell steht sie auf und nickt den anderen kurz zu. Bevor sie sich abwendet begegnet sie seinem Blick. Kurz. Es ist nicht so wie Du denkst, scheinen seine Augen zu sagen. Nein, sicher nicht, nichts ist so wie ich gedacht habe, dass es ist, antworten ihre.
Schnell läuft sie den Weg entlang. Sie rennt fast. Ganz weit weg. Möglichst viel Raum zwischen sich und dieses Traumpaar bringen. Sie presst ihre Hände an die Schläfen. Versucht die Bilder aus ihrem Kopf zu bekommen, aber es gelingt ihr nicht. Sie spürt seinen heißen Atem auf ihrer Haut. Ein Schauer läuft ihr über den Rücken. Sie zittert. Spürt seine feuchten Küsse auf ihren Lippen, ihren Augen, ihrem Hals. Noch einmal hört sie seine Stimme leise flüsternd an ihrem Ohr, fordernd:
„Du willst es doch auch“
Schwer atmend lehnt sie sich an die Mauer des Parks. Die Kühle der Steine beruhigt sie ein wenig. Ihre Knie geben nach und sie gleitet langsam zu Boden. Tränen laufen ihr über die heißen Wangen. Immer noch presst sie ihre Hände gegen ihr Gesicht.
„Nein,“, murmelt sie leise, „DAS will ich nicht!“

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