Montag, 12. Januar 2009

Im Café I


„Oma, ich hab Dir doch gesagt, dass ich Dich heute Nachmittag in meiner Mittagspause abhole! Warum fängst Du denn da an die Straße zu kehren? Du weißt doch, dass Hannes das später noch machen kann!“
Die alte Frau hatte sich bei ihrer Enkelin eingehakt und setzte langsam einen Fuß vor den anderen, während sie sich die Gasse hoch in die Hauptstrasse bewegten.
„Ja, ja, der Hannes...“, murmelte sie heiser.
„Was ist mit ihm?“, Linda hob ihren Blick von den Pflastersteinen und sah ihre Oma an. Aber die alte Frau wippte nur leicht mit ihrem Kopf auf und ab. Ein Lächeln lag auf ihren runzligen Lippen. Statt einer Antwort tätschelte sie mit ihrer freien Hand Lindas Arm, ihre Augen blieben nach vorn gerichtet. Linda seufzte und konzentrierte sich wieder auf den Weg.
Babett sog durch ihre Nase den Duft ihrer Enkelin ein. Er war so angenehm, anders als dieser muffige, altersfleckige Geruch, der sie selbst seit vielen Jahren begleitete. Sie seufzte und klammerte sich noch ein wenig fester an den Arm der jungen Frau, als sie daran dachte dass diese ein, manchmal auch zweimal, in der Woche bei ihr vorbei kam, um in der Mittagspause eine Tasse heiße Schokolade zu trinken. Das heißt Babett trank die Schokolade, während Linda meist einen Milchkaffee zu sich nahm. Babett würde es nie zugeben, aber sie kam immer ein wenig durcheinander wann ihre Enkelin sich bei ihr angemeldet hatte und wann nicht. Verwirrend war außerdem, dass sie in diesem Bäckerladen, in dem sie arbeitete, immer wieder unterschiedliche Pausenzeiten hatte. Manchmal verspätete sie sich um eine ganze Stunde, als sie es zuvor mit Babett vereinbart hatte. Oder irrte Babett sich hier? Bei diesem Gedanken seufzte sie kopfschüttelnd.
„Was ist, Oma?“

„Ach nichts, mein Kindchen, nichts als das Alter.“, ihre Augen blitzten kurz auf und sie hob ihren Kopf, um ihre Enkelin anzusehen. Diese lächelte ihr zu. Seufzend drückte sie sich noch ein wenig mehr an Linda.
„Nicht so feste, Oma“, sanft lockerte Linda den untergehakten Arm.
Mit schweren Schritten ging Babett an der Seite ihrer Enkelin durch die Schiebetür in das Innere der Konditorei. Schlurfend durchquerte sie den Ladenbereich und suchte sich einen Weg in den hinteren Teil des Cafés. Babett saß am Liebsten in dem überdachten Wintergarten mit Blick auf den Garten. Im Sommer waren die Türen geöffnet und man konnte die Vögel beobachten, wie sie sich in einem kleinen Brunnen badeten. Jetzt im Winter waren natürlich alle Fenster geschlossen. Als sie sich an einen der Tische direkt am Fenster gesetzt hatten schaute Babett lange nach draußen. Ihr entfuhr ein Seufzer, als sie die vom Laub befreiten Bäume und die Stille in dem kleinen Garten in sich aufnahm. Wie lange würde es wohl noch dauern, bis sie selbst in endgültiger Stille tief in der Erde vergraben liegen würde?
Sie zuckte zusammen, als die Bedienung sie leicht an der Hand streifte während sie die Tasse mit Schokolade vor ihr abstellte. Beinahe hätte sie die Tasse umgestoßen. Beruhigend legte Linda ihr die Hand auf dem Arm:
„Es ist alles in Ordnung, Oma.“
Sie nickte, immer noch ein wenig abwesend und murmelte:
„Ja, ich weiß. Es ist nur – ich habe gar nicht bemerkt, dass Du schon bestellt hast...“
Linda lächelte ihr zu, mit so einem typischen Lächeln, dass man alten Leuten schenkt, die nicht mehr ganz klar im Kopf sind. Babett schnaubte. Aber Linda war mit ihrer Aufmerksamkeit schon wieder wo anders. Mit gerunzelter Stirn starrte sie zu einem der Nachbartische. Babett folgte langsam ihrem Blick. Dort saß ein Pärchen, beide noch relativ jung, obwohl doch schon ein wenig älter als ihre Enkelin. Unwillkürlich musste sie über sich selbst lächeln. Mit ihren 82 Jahren konnte sie mit dem Begriff „Jung“ nicht mehr so viel anfangen. Eigentlich waren alle Menschen unter 60 Jahren jung für sie. Sie runzelte ihre Stirn und versuchte sich mehr Mühe bei der Einschätzung des Alters zu geben. Linda war – jetzt musste Babett kurz nachrechen – 23 Jahre alt. Die Frau am Nebentisch sah gut sechs oder acht Jahre älter aus. Aber so ganz genau konnte das Babett nicht ausmachen, denn ihre Augen waren längst nicht mehr so gut wie früher. Doch die Haltung der Frau war irgendwie gerader als die ihrer Enkelin. Und ihre Bewegungen hatten etwas energisches, wie die einer Person, die gewohnt war über andere zu bestimmen. Der Mann hingegen wirkte erschöpft. Er fummelte die ganze Zeit an der Tischdecke herum. Hob sie an, um sie zwischen seinen Fingern zu verdrehen und strich sie im nächsten Moment wieder glatt. Die beiden waren in ein hitziges Gespräch verwickelt. Das heißt die Frau redete unaufhörlich auf den Mann ein, während er immer wieder nickte oder den Kopf schüttelte, sie ansah und seinen Mund öffnete, aber sie ihm gleich wieder ins Wort fiel.
Sein Blick streifte Linda, die immer noch zu dem Tisch hinüber starrte, und hielt inne. Er zog die Augenbrauen zusammen und legte seinen Kopf schief, während er Linda ins Gesicht schaute. Babett musste lächeln, als ihre Enkelin schnell den Blick abwandte.
„Kennst Du den jungen Mann?“
„Welchen jungen Mann?“, Linda schaute sie mit unschuldigem Gesicht an.
„Hmm, ich rede von dem jungen Mann am Nachbartisch, den Du eben noch angesehen hast.“
„Ach der...“, Linda wurde rot, „Nein, ich denke nicht.“
Babett schmunzelte ein wenig. Ihre Stimme nahm einen verschwörerischen Ton an und sie flüsterte: „Aber er gefällt Dir?“
Linda antwortete ihr nicht, stattdessen fragte sie sie beiläufig:
„Wie geht’s eigentlich Deiner Hüfte?“
Babett fiel ein wenig in sich zusammen. Ihr eben noch so wacher Blick wurde trübe und ein wenig leer. Mit dem Zeigefinger zeichnete sie langsam ein Muster auf die strahlend weiße Tischdecke.
„Meiner Hüfte geht es bemerkenswert gut, danke der Nachfrage.“, ihre Stimme klang ein wenig bitter. War sie denn tatsächlich schon so alt, dass ihre Enkelin sich nur noch über ihre Gesundheit mit ihr unterhalten konnte? Sie seufzte als sie daran zurück dachte wie die kleine Linda und sie früher gemeinsam in der Fußgängerzone auf Verbrecherjagd gegangen waren und sich über ihre geheimen Gedanken zu den anderen Menschen ausgetauscht hatten. Wie lange war das her? Zehn Jahre? Oder fünfzehn? Sie holte tief Luft und betrachtete ihre Enkelin. Zu lange, dachte sie still bei sich, als dass die junge Frau mir gegenüber sich daran erinnern könnte.
Plötzlich sah Linda auf die Uhr und stieß einen erstaunten Ruf aus.
„Oh, Oma! Mein Gott es ist ja schon fast vier! Ich muss um vier wieder im Laden sein!“,
Linda schob ihren Stuhl zurück, stand mit einer schnellen Bewegung auf und zog ihre hektisch ihre Jacke an. Sie kam um den Tisch herum und beugte sich zu Babett hinunter, um ihr einen flüchtigen, feuchten Kuss auf die Wange zu geben, „Es tut mir leid Oma, aber ich kann Dich heute nicht mehr nach Hause begleiten.“
Babett griff die Hand ihrer Enkelin und drückte sie fest: „Ist schon in Ordnung, ich kenne den Weg ja. Beeile Dich, dass Du nicht zu spät kommst, ich zahle.“
„Danke Oma“, Linda lächelte, „Ich ruf Dich an, ja?“
Babett nickte und sah ihrer Enkelin nach, die sich kurz vor der Tür noch einmal umdrehte und ihr zuwinkte. Mit zitternder Hand führte sie ihre Tasse zum Mund. Der süße Geschmack vermischte sich mit dem bitteren Geschmack in ihrem Mund. Mit einem großen Schluck suchte sie ihre Enttäuschung hinunter zu spülen, aber es wollte ihr nicht so recht gelingen. Sie schaute noch einmal zum Nachbartisch. Der junge Mann hatte inzwischen die Hand seiner Begleiterin genommen und drückte sie fest, während er sich weit zu ihr hinüber lehnte und auf sie einredete.
Kopfschüttelnd suchte sie in ihrer Handtasche nach ihrem Geldbeutel. Als sie ihn gefunden hatte winkte sie der Bedingung und drückte dieser den Geldbeutel in die Hand. Ihre Augen waren längst nicht mehr gut genug, um das ganze Kleingeld zu erkennen, außerdem zitterte ihre Hand meist zu sehr bei rauszählen des Geldes. Normalerweise gab sie Linda ihren Geldbeutel, damit die damit bezahlen konnte. Bei diesem Gedanken sog sie seufzend die Luft ein. Mühsam stand sie auf, die Bedienung half ihr in ihren Mantel. Leicht vorn über gebeugt und mit langsamen Schritten machte sie sich auf den Weg nach draußen. Sie vermisste die warme Stütze an ihrem linken Arm.

1 Kommentar:

  1. Hmmm,
    die Geschichten werden immer länger. Eigentlich wollte ich nicht mehr als maximal 1 1/2 Seiten schreiben pro Geschichte. (Diese hier ist 2 1/4 - aber auch eine andere Schriftart)
    Es ist nicht so einfach, wenn ich versuche die Person, aus deren Sicht die Geschichte geschrieben ist, ein wenig kennenzulernen und gleichzeitig noch andere einflechten will, mit denen die Geschichte weitergehen kann.
    Aber es macht mir Spaß schon bekannten Personen in einer neue Situation zu begegnen :).
    Und es ist gut erst mal wieder von dem Liebesgedönse weg zu sein :P - will ja nicht doch noch alle Leser mit Schnulzen vergraulen...
    Gruß
    Kryps

    AntwortenLöschen