Montag, 15. Dezember 2008

Beim Bäcker II

„Darfs noch was sein?“, Linda sah den älteren Herren auf der anderen Seite der Ladentheke nur kurz an. Dann verlor sich ihr Blick in dem kleinen Laden und sie zählte flüchtig die wartenden Kunden. Ein unwohles Gefühl stieg langsam aus ihrer Magengegend auf. Sie warf einen schnellen Blick auf die Uhr an der Wand. Noch eine Stunde bis ihre Kollegin wieder aus der Mittagspause zurück sein würde. Wenn es mit dem Ansturm so weiter ging, dann könnten die Kunden vielleicht so im Pulk im Laden stehen, dass keiner mehr raus oder rein kam. Bei diesem Gedanken musste sie grinsen. Die Vorstellung wie die Kunden eine Kette bilden müssten um langsam bei der Tür wieder Platz zu schaffen und so plötzlich die Letzten als erstes bedient werden würden gefiel ihr. Die Letzten werden die Ersten sein – gab es diesen Spruch nicht irgendwo?

„Ich hätte bitte noch zwei Mohnbrötchen…“, die Stimme des älteren Herren zitterte leicht und riss Linda aus ihren Gedanken. Ein Schnauben von weiter hinten aus dem Laden verleitete sie zu einer schnelleren Drehung. Wohl etwas zu schnell, denn sie stolperte im zurückdrehen prompt über ihren linken Fuß. Beinahe wäre ihr bei der Auffangbewegung das Brötchen aus der Hand gefallen.

´Verdammt! Lass Dich bloß nicht hetzen!´, dachte sie bei sich, während sie mit leicht zitternden Fingern das Gewünschte in die Papiertüte fallen lies.

„Macht dann fünfvierzig, bitte“, während der ältere Herr in seiner Tasche nach seinem Geldbeutel suchte und sein Kleingeld langsam Cent für Cent auf den Tresen zählte hatte Linda Gelegenheit sich in Ruhe die Kunden anzusehen.

Stand die Frau mit dem Kinderwagen eigentlich schon die ganze Zeit da? Linda konnte sich nicht erinnern. Sie hasste es, wenn die Kunden sich nicht ordentlich in einer Reihe anstellten. Das gab jedes Mal Ärger, weil irgendwer sich übergangen fühlte und ihr dann dafür die Schuld gab. Als ob sie nichts Besseres zu tun hätte, als in einem vollen Laden auch noch darauf zu achten wer wann rein kommt. Aber der Laden war einfach zu kurz für eine lange Schlange vom Tresen bis zur Tür. Als sie gestern beim Finanzamt war hatte sie eine Nummer ziehen müssen. Das wäre doch die Idee für Warteschlangen im Bäckerladen. Nie wieder zurückgesetzte Kunden!

Als sie den älteren Herrn endlich abkassiert hatte wollte Linda sich schon der Frau mit dem Kinderwagen zuwenden, doch eine schnelle Bewegung von vorne lies sie stocken. Ein smarter junger Mann mit streng gegeltem Haar schob sich lächelnd nach vorne. Seine Grübchen erinnerten sie an jemanden. Plötzlich hatte sie wieder dessen Bild im Kopf und für einen kurzen Moment roch sie seinen Duft. Ein warmes Gefühl breitete sich in ihr aus und sie konnte gar nicht anders als diesen smarten jungen Mann anzulächeln. Wie alt er wohl sein mochte? Linda schätzte Ende zwanzig, vielleicht auch ein wenig älter. Als er ihr mit seinen beinahe stechenden Augen tief in die ihren sah begann ihr Herz wild zu klopfen. Schnell beugte sie sich nach vorn über die Kuchentheke und wünschte sich sie würde ihr strähniges, braunes Haar offen tragen, damit niemand ihr langsam glühendes Gesicht bemerkte.

Sorgfältig ordnete sie die Kuchenstücke auf dem Pappteller an. Wenn sie ein wenig Zeit lassen würde, dann konnte sie länger seinen Blick spüren, der das Kribbeln in ihrem Bauch auslöste. Plötzlich rempelte die junge Frau hinter dem smarten Mann ihn an. Was sollte das denn? War die etwa eifersüchtig, die dumme Kuh? Linda zog ihre Augenbrauen zusammen und konzentrierte sich nur noch halbherzig auf die Kuchenstücke, um die Szene vor ihrer Theke besser beobachten zu können. Der smarte Mann drehte sich zu dieser ungeschickten, jungen Frau um. Linda musterte sie aus ihrem Augenwinkel heraus. Schlecht sah sie nicht aus, aber sie war so unglaublich geschmacklos gekleidet mit dieser weißen Wollstrumpfhose, dem Minirock und der pechschwarzen, zerschlissenen Kapuzenjacke, die viel zu dünn für das Wetter draußen aussah. Aber der dicke orange Wollschall wirkte irgendwie cool in Kombination mit dem Rest des Outfits. Linda konnte sich nicht ganz entscheiden, ob sie den Stil tatsächlich so geschmacklos fand oder ob sie vielleicht doch ein wenig neidisch war, das die andere sich so was anzuziehen traute. Aber der blaue Lippenstift war echt übertrieben. Mit dem blassen Gesicht wirkte sie so beinahe wie tot. Während Linda den Kuchen einpackte versetzte es ihr einen Stich mit anzusehen mit welchen Blicken die beiden vor ihrer Theke sich anstarrten. Sie konnte förmlich das Knistern in der Luft spüren. Was für eine blöde Kuh! Zog einfach die ganze Aufmerksamkeit dieses süßen Typen auf sich. Es ging ihr gar nicht so sehr um den jungen Mann. Vielmehr um die jetzt zerstörte schöne Erinnerung an einen kleinen Flirt am Arbeitsplatz. Um das Gefühl mit einem Blick bedacht zu werden, der nur ihr galt.

Als der Mann bezahlte fühlte Linda sich gänzlich blamiert. Sie wollte 3,45 € - wieso verdammt noch mal drückte der Kerl ihr jetzt 5,95 € in die Hand? Sie kam sich unglaublich klein vor, als sie die Kasse für diese Rechenaufgabe zur Hilfe nehmen musste.

Schnell wandte sie sich der Frau mit dem Kinderwagen zu. Sie wollte nicht mit ansehen, wie die beiden Flirtenden sich noch mal so anstarrten und die Luft zwischen ihnen zu knistern begann. Eigentlich war es bis eben noch ein ziemlich guter Tag gewesen.

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