Mittwoch, 27. März 2013

Der Strassenkater und der Pfau


Du sitzt mir gegenüber, eine Tasse Kaffee vor Dir auf dem Küchentisch. Beide starren wir auf den Löffel Zucker in Deiner Hand. Ich beobachte, wie Du die kleinen, weißen Körner in die schwarze Brühe rieseln lässt. Sie gehen sofort unter.

Der Abend an dem ich verlassen wurde steht mir wieder vor Augen:
Zum Glück bist Du, mein Freund, immer bereit mit mir um die Häuser zu ziehen. Dein Lachen hallt mir wieder ins Ohr.
„Auf Deine neugewonnene Freiheit!“, sagst Du.
Deine Hand liegt auf meiner Schulter und Du atmest mir eine Mischung aus Bier und Schnaps entgegen.
„Weißt Du,“, nuschelst Du und spuckst mir dabei ins Ohr, „weißt Du, meine Gute, das darf man alles nicht so ernst nehmen. Immer wenn sich eine Tür schließt, öffnet sich auf der anderen Seite eine Neue!“
Wenn Du predigen kannst, gefällst Du Dir am Besten. Mir nicht, aber was soll man darauf antworten? Das Leben als „All you can eat“ - Buffet, bei dem man sich vollstopfen kann bis zum Umfallen. Meine Gedanken von damals schießen mir durch den Kopf: Was weißt Du schon von Liebe? Was weißt Du schon, wie es sich anfühlt, wenn Du plötzlich nur noch mit einem halben Herzen dasitzt, das nicht aufhören will zu bluten? Ja, schön, dass sich irgendwo wieder eine Tür öffnet – aber was hilft es mir, wenn ich hinter der Geschlossenen einen Teil von mir vergessen habe? Ich habe keinen Schimmer, wie ich ohne den weiterleben soll. Aber das verstehst Du nicht. Also nicke ich, lache Dich an und hebe mein Glas: „Auf die Freiheit!“

Der Zucker in Deiner Tasse hat sich aufgelöst. Ohne Aufzusehen führst Du sie zum Mund und trinkst.
Monate liegt der Abend, an dem mein Herz zerrissen ist, nun schon zurück. Es blutet nicht mehr, es tut nicht einmal mehr weh. Vernarbt ist es, vernarbt, aber geheilt. Nur manchmal, wenn ich im Vorübergehen einen flüchtigen Blick in ein Gesicht erhasche dann ziept die Narbe ein wenig. Vielleicht war es die Nase, die mich an meine Liebe erinnert hat, oder die Lachfalten um die Augen. Schnell fasse ich mir an die Brust, drücke zu und denke an etwas anderes. So ist das mit Narbenschmerzen, sie kommen und gehen, wie Regen und Sonnenschein. Aber es ist nicht der Rede wert.
So wie Du heute Abend vor mir sitzt ist wie ein Sonnenaufgang um Mitternacht – unerwartet und unmöglich. Und doch ist es wahr. Warte, ist das eine Träne in Deinem Augenwinkel? Hey, alter Freund, was ist los mit Dir?
Was sagst Du? Du bist so leise, mein Freund. Wo ist der Pfau hin, der sein Rad zur Schau trägt und nie um eine Antwort verlegen bleibt? Ich kenne Dich nicht wieder. Vor mir sitzt ein zerlumpter Straßenkater, der seine Wunden leckt.
„Ich versteh das nicht – ich hab nur mit ihr geflirtet und das ist schon zwei Wochen her! Aber jetzt geht sie mir nicht mehr aus dem Kopf!“, flüsterst Du.
Sie meldet sich nicht und Du kannst nicht aufhören an sie zu denken. Dabei stehen so viele Telefonnummern in Deinem Handy. Du musst nur eine wählen und kannst Deinen Spaß haben.
„Und weißt Du was?“ Du schüttelst den Kopf. „Kaum treffe ich mich mit einer anderen denke ich die ganze Zeit nur noch an sie – was ist los?“
Ich lächle. Ja, Du hast sie alle gehabt und doch nie besessen. Du bist verliebt, mein Freund, das ist los.
„Ruf sie an!“, sage ich und nicke Dir zu. „Lade sie ein – zum Essen oder ins Kino oder trefft euch im Park!“
In Deinen Augen liegt ein Schatten. Hab keine Angst, mein Freund, Du weißt doch: Wer nicht wagt, der nicht gewinnt! Ich schlucke den Spruch hinunter. Ich weiß, dass Du das jetzt nicht hören brauchst. Das ist die gleiche Liga, wie der Spruch mit der Tür.
Ob sie kommt? Ich schaue Dir in die Augen. Wie schön sie plötzlich aussehen – die Unsicherheit steht Dir gut.
„Und wenn sie absagt?“
Ich zucke mit den Schultern, sage aber nichts. Weißt Du nicht, dass die Zeit alle Wunden heilt? Nein, das weißt Du wohl nicht. Wie auch? Bist es doch gewohnt Dich nach Herzenslust am Buffet zu bedienen, ohne Dich mit großen Gefühlen zu belasten. Und jetzt? Sieh Dich an! Ich muss lächeln. Deine Haare stehen in verschiedenen Richtungen vom Kopf ab, Dein Hemd ist falsch geknöpft und Dein linker Schnürsenkel ist offen. Mir ist der Straßenkater lieber als der Pfau.
Ob Du ihr etwas bedeutest? Ich weiß es nicht, mein Freund. Aber ich wünsche es Dir von ganzem Herzen, wirklich. Sei bescheiden, hörst Du? Wer braucht schon jeden Tag Himbeerschnitte mit Sahne zum Nachtisch? Weniger ist manchmal mehr, weißt Du? Aber das denke ich nur, ich sage es Dir nicht.
„Wenn es schief geht?“ Du starrst mich an, als wüsste ich auf alles eine Antwort.
„Probiers aus, wird schon!“ Ich klopfe Dir auf die Schulter.
Ich hoffe für Dich, dass es was Richtiges wird. Sowas, was so echt ist, dass einem schon fast die Tränen kommen. Wenn nicht, ach weißt Du, dann können wir immer noch auf Deine neugewonnene Freiheit anstoßen. Ob Du die dann noch haben willst? Die Narbe an meinem Herzen pocht leise. Die Zeit heilt alle Wunden, mein Freund, Du wirst schon sehen.

1 Kommentar:

  1. Geschichten sind wie Kinder, die Du in die Welt schickst. Manche machen ihren Weg und andere kommen zurück. Ein wenig geschunden und enttäuscht sehen sie dann aus, haben ja ihr Ziel nicht erreicht. Ich mag sie trotzdem! ;)
    Damit sie nicht umsonst geboren wurden gibt es jetzt "Das Tal der verlorenen Geschichten", wo sie sich dem neugierigen Besucher stolz zur Schau stellen :D.
    Viel Spaß!
    Kryps

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