Donnerstag, 21. Mai 2009

Geschäftsleiterbüro II


„Danke Frau Schnittinger.“, Hans-Friedrich Bohner nickte seiner Angestellten zu. Mit einer Hand wies er auf die beiden schmucklosen Holzstühle vor seinem Schreibtisch. Irgendwann würde er endlich bessere Stühle beantragen, mit denen er Geschäftskunden empfangen konnte. Er besah sich die beiden Jungs, die zögernd seiner Aufforderung Folge leisteten. Für diese beiden Lümmel reichten die unbequemen Stühle allemal. Hans-Friedrich holte tief Luft, bevor er zum Sprechen ansetzte. Er nahm einen säuerlich-scharfen Geruch wahr und war für einen Moment irritiert. Er roch das Erbrochene, aber da schwang noch eine andere Note mit. Das Räuspern eines der Jungen lenkte ihn ab. Er fixierte die Beiden.
„So, so, ihr seid also die Beiden, die eben unser schön angelegtes Koi-Becken verunreinigt haben?“
Keine Reaktion.

Der schlaksige Kerl mit dem strähnigen braunen Haar fixierte angestrengt den Fußboden und warf nur gelegentlich einen schnellen, kurzen Blick in seine Richtung. Hans-Friedrich unterdrückte ein Grinsen. Das schlechte Gewissen stand ihm ins Gesicht geschrieben - Recht so! Er wandte seinen Blick dem anderen zu. Dieser sah schon etwas männlicher aus, hatte nicht mehr den unförmigen Körperbau eines Jugendlichen. Seine hellen, grauen Augen fixierten Hans-Friedrichs Blick. Unverschämt! Hans-Friedrich sog hörbar die Luft ein, seine Augen formten sich zu kleinen Schlitzen. Was glaubte der denn, wer er war?
„Habt ihr eigentlich irgendeine Ahnung wie teuer so ein Koi ist?“, er spukte die Worte aus.
Der junge Kerl vor ihm hielt weiter seinen Blick fest. Seine Stimme war ruhig. Hans-Friedrich war aber als würde ein aggressiver Unterton mitschwingen.
„Wir können Ihnen den Schaden bezahlen.“
Sein Mund klappte leicht auf und er starrte den Kerl auf der anderen Seite des Schreibtisches an. Aufrecht saß der auf seinem Stuhl, in den Schultern glaubte er eine leichte Anspannung zu sehen. Die Art wie der seinen Blick festhielt sollte vielleicht selbstbewusst wirken, Hans-Friedrich machte das allerdings eher aggressiv. Er hatte das Gefühl als versuche dieser junge Kerl ihn nieder zu starren. Wären da nicht die zusammengebissenen Zähne und die krause Stirn gewesen, die dem jungen Gesicht einen kindlich-trotzigen Ausdruck verliehen, hätte er sich tatsächlich herausgefordert gefühlt. Aber dieser Gesichtsausdruck bestätigte ihm, dass eindeutig er Herr der Lage war. Er streckte seinen Rücken, erwiderte auffordernd den Blick.
„Einen Dreck könnt ihr! Bezahlen – das ich nicht lache!“, sorgsam achtete er darauf, dass er die folgenden Worte ganz ruhig und leise aussprach, „Hast Du eine Ahnung was nur der günstigste Koi in diesem Becken kostet?“
Er unterdrückte ein Lächeln, als er sah wie sich der Mund des Jungen noch mehr verspannte. Na bitte, ging doch! Der Junge hob seinen Kopf noch ein Stückchen mehr an.
„Sagen Sie uns, was der Schaden kostet und wir werden dafür sorgen, dass Sie Ihr Geld bekommen.“
Hans-Friedrich musterte ihn einen Moment. Schließlich lies er seinen Blick zu dem Freund wandern. Dieser sah seinen Kumpel mit großen Augen an. Nur kurz, bevor er seinen Blick bemerkte und wieder zu Boden sah. Aber lang genug, um ihm die Bestätigung zu geben, dass der Kerl große Sprüche klopfte. Was war es? Er suchte nach dem passenden Wort. Überheblichkeit? Nein. Arroganz? Nicht ganz. Seine Augen blitzten einen Moment auf, er hatte es gefunden: Stolz. Ja, genau, ganz schön stolz war der. Dem Alter und der Situation unangebracht! Mal sehen, ob er ihn diesen falschen Stolz nicht ein wenig austreiben konnte:
„Wie alt bist Du?“
Einen kurzen Augenblick fiel die Anspannung von dem Gesicht. Für diesen einen Moment war es Hans-Friedrich als säße ihm ein kleiner Junge gegenüber, der völlig aus dem Konzept gebracht war. Dann fing sich der Junge und Hans-Friedrich sah sich wieder dem Halbstarken gegenüber sitzen.
„Warum?“
Er seufzte. Schade. Wobei – wie war er wohl in diesem Alter gewesen? Plötzlich sah er sich selbst mit den Augen des Jungen. Er sah einen Mitvierziger mit Halbglatze und leicht zusammengekniffenen Augen. Der Alte konnte wohl schon nicht mehr richtig gut sehen, schien aber zu eitel zu sein eine Brille aufzusetzen. Er erschrak über den Gesichtsausdruck des Mannes: Das leicht vorgeschobene Kinn und dieser Blick von oben herab verlieh ihm etwas Oberlehrerhaftes. In den Gesichtszügen lag Bitterkeit. Er schnaubte. Nein, von so einem hätte er sich als Jugendlicher auch nichts sagen lassen wollen! Hätte er sich auch kein Blöße gegeben. Wie, wie, ja genau, wie der Halbstarke hier vor ihm. Mit einem Mal schämte er sich. Dummheit! Eigentlich müssten die Jungs sich schämen! Dennoch schlug er einen versöhnlicheren Ton an:
„Man beantwortet eine Frage nicht mit einer Gegenfrage. Also: Wie alt bist Du?“
Der Junge schaute ihn an. Auf seine Stirn bildeten sich Falten. Hans-Friedrich hob seine Augenbrauen und versuchte ein leichtes Lächeln. Er bemerkte gar nicht wie er im selben Moment seine Hände, die er auf den Schreibtisch gelegt hatte, öffnete. Der Junge erwiderte sein Lächeln. Kurz. Na also!
„Siebzehn.“
Hatte er es doch gewusst! Benimmt sich wie ein Erwachsener, ist aber eigentlich noch grün hinter den Ohren. Beinahe wäre ihm ein anerkennender Pfiff entfahren. Aber er riss sich zusammen.
„Und Dein Freund?“, mit den Augen wies er auf den Schlaksigen Typen.
Wäre der alleine hier gesessen hätte er sich wahrscheinlich nach seiner geplanten Standpauke die Personalien geben lassen, Anzeige erstattet und dem jungen Kerl eine saftige Rechnung präsentiert. Er konnte diesen schlaksigen Jungen nicht wirklich ernst nehmen. Der bot keinerlei Widerstand. Wozu also ihn selbst fragen? Die Jungs tauschten einen kurzen Blick. Mit einiger Überraschung nahm Hans-Friedrich zur Kenntnis, dass der Schlaksige sich kurz aufrichtete und selbst antwortete.
„Ich bin sechzehn.“
„So, so...“, er dehnte die Worte während er langsam von einem zum anderen sah, „siebzehn und sechzehn...“
Jetzt war es ein Spiel für ihn. Es gefiel ihm die Jungs ein wenig zappeln zu lassen und in die Falle zu locken. Ganz beiläufig fragte er weiter:
„Arbeitet ihr?“
Sie tauschten wieder einen kurzen Blick. Hans-Friedrich tippte darauf, dass der Große wieder antworten würde, und er behielt Recht.
„Stundenweise.“
„So, so, Stundenweise.“, er machte eine kurze Pause, um die Schlinge richtig auszulegen, „Und eure Eltern, was arbeiten die?“
Die Augen des Jungen blitzten auf. Das Gesicht spannte sich wieder an.
„Ey, hörn Sie, ich weiß nicht was das hier soll. Ich hab Ihnen eben schon gesagt wir zahlen Ihnen Ihr Geld!“
Oh, gut gebrüllt Löwe. Hans-Friedrich zog seine Augenbrauen leicht hoch. Er bemerkte gar nicht, wie er immer mehr wieder in die Rolle dieses Oberlehrers abglitt.
„Gut, dann sag ich Dir mal, was der günstigste Fisch in dem Becken kostet: 850,- €! Der teuerste, der im Moment darin schwimmt kostet 4.500,- € - glaubst Du immer noch, Du kannst das mal eben so locker, flockig bezahlen, falls einer der Fische krepiert? Von der Reinigung des Beckens mal ganz abgesehen.“
Der Junge starrte ihn an und sagte lange nichts. Hans-Friedrich schaute ihm tief in die Augen und lies seine Worte wirken. Er hatte Zeit. Schließlich holte der Kerl tief Luft.
„Nein.“, es war fast nur gehaucht.
Zum ersten Mal in diesem Gespräch sah der Junge auf den Boden. Hans-Friedrich seufzte. Hatte er es doch gleich gewusst. Er lehnte sich zurück. Seine Hand griff nach der Schreibtischschublade. Dann eben doch das normale Prozedere. Personalien aufnehmen, Anzeige erstatten und Rechnung stellen. Er holte tief Luft. Plötzlich war da wieder dieser Geruch. Er begann zu schnüffeln. Natürlich! Da lag Alkohol in der Luft! Deshalb hatte der eine sich übergeben – zu viel getrunken!
„Hier riechts doch nach Alkohol – habt ihr zwei was getrunken?“, sein Blick fiel auf seine Angestellte, „Riechen Sie das auch?“
Frau Schnittinger hatte die ganze Zeit an der alten Schrankwand gelehnt und gewartet. Jetzt stieß sie sich ab und stellte sich hinter den Großen, legte ihm beide Hände auf die Schultern. Fast wie – ja wie? Er suchte wieder nach dem passenden Wort – genau! Fast wie eine Mutter. Ihm fiel ein, dass Frau Schnittinger ja selbst Kinder hatte, wohl ungefähr im Alter der beiden Jungs. Stirnrunzelnd hörte er sich ihren Vorschlag an. Abarbeiten sollten die Beiden die ganze Sauerrei, die sie angerichtet hatten. Naja, wenn er ehrlich war, dann würde wohl keiner der Kois wirklich bleibenden Schaden davontragen – Fische kotzten wahrscheinlich auch ins Wasser, in so fern. Aber wollte er die Beiden wirklich so einfach davon kommen lassen? Wo blieb da die erzieherische Maßnahme? Er sah lange in die hellen Augen seiner Angestellten. Er konnte sich schon die Pausengespräche der Kollegen vorstellen – egal ob er ihren Vorschlag an nahm oder nicht. Schließlich willigte er seufzend ein.
Als die drei sein Büro verlassen hatten schaute er sich noch mal die Zettel mit den Namen und Adressen an. Victor und Vladimir. Es waren unterschiedliche Nachnamen, also keine Brüder. Ihm kam wieder dieser Geruch in die Nase. Das war garantiert Alkohol, da war er sich ganz sicher! Hoffentlich übergab sich der andere nicht auch noch. Seufzend stand er auf und lüftete sein Büro.

1 Kommentar:

  1. Ich wünsche allen einen schönen Vatertag, der hoffentlich nicht zu feucht-fröhlich wird! :)

    Grüße

    Kryps

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