Donnerstag, 14. Mai 2009

Geschäftsleiterbüro I


Hanna lehnte sich seufzend an die Schrankwand ihres Chefs und beobachtete die Szenerie. Die beiden Jungs saßen zusammengesunken auf den harten Holzstühlen, während Herr Bohner es sich auf seinem ledernen Schreibtischstuhl bequem gemacht hatte. Seine Stirn lag in tiefen Falten, sein Blick wanderte von einem zum anderen.
„Habt ihr eigentlich irgendeine Ahnung wie teuer so ein Koi ist?“
Hanna zuckte bei der Schärfe seiner Stimme leicht zusammen.

Der größere der Beiden, der der an der Treppe zusammen gesackt war, ergriff das Wort:
„Wir können Ihnen den Schaden bezahlen.“
Er setzte sich aufrecht und sah Herrn Bohner mit seinen hellen Augen direkt ins Gesicht. Hanna musste lächeln. Sie sah wie sich die Nasenflügel ihres Chefs weiteten. Das war kein gutes Zeichen, bedeutete es doch erfahrungsgemäß, dass man ihm jetzt besser aus dem Weg gehen sollte. Unwillkürlich spannte sich ihr Körper an. Herr Bohner atmete betont langsam und hörbar aus:
„Einen Dreck könnt ihr! Bezahlen – das ich nicht lache! Hast Du eine Ahnung was nur der günstigste Koi in diesem Becken kostet?“
Sie beobachtete wie der Junge sich noch ein Stück gerader hinsetzte und seinen Kopf leicht anhob. Mein Gott, dachte sie bei sich, das ist doch nicht der richtige Moment, um stolz zu sein! Dennoch beeindruckte sie diese Unverfrorenheit.
„Sagen Sie uns, was der Schaden kostet und wir werden dafür sorgen, dass Sie Ihr Geld bekommen.“, seine Stimme klang fest.
Herr Bohner fixierte den jungen Kerl nun mit einem stechenden Blick:
„Wie alt bist Du?“
„Warum?“
„Man beantwortet eine Frage nicht mit einer Gegenfrage. Also: Wie alt bist Du?“
Hanna konnte sehen wie es in dem Kopf des Jungen arbeitete. Nun mach schon, sei ein wenig kooperativ. Plötzlich lächelte er:
„Siebzehn.“
„Und Dein Freund?“
Die beiden Jungs tauschten einen kurzen Blick. Der Schlaksigere richtete sich ein wenig auf.
„Ich bin sechzehn.“, er sah nur kurz auf, um gleich darauf seinen Blick wieder auf den Boden zu heften.
Hanna zog ihre Stirn in Falten. Was war das für ein Akzent? Bei dem Zweiten hörte man ihn deutlicher. Die Sprache klang hart, ein wenig abgehackt.
„So, so, siebzehn und sechzehn. Arbeitet ihr?“
Wieder tauschten die Beiden einen kurzen Blick.
„Stundenweise.“, antwortete schließlich der Große.
Hanna schloss ihre Augen, um den Akzent besser zu hören und sich vorzustellen in welchem Land diese Sprache gesprochen werden könnte.
„So, so, Stundenweise. Und eure Eltern, was arbeiten die?“
„Ey, hörn Sie, ich weiß nicht was das hier soll. Ich hab Ihnen eben schon gesagt wir zahlen Ihnen Ihr Geld!“, wie um das Gesagte zu unterstreichen schlug sich der Große mit seiner Hand auf den Oberschenkel.
Hanna lies die Worte auf sich wirken. Vor ihrem geistigen Auge tauchten verschneite Berge auf und ganz klein dazwischen Holzhütten. Die Schweiz? Nein Schweizerdeutsch klang anders, niedlicher. Französischer oder Italienischer Akzent auch. Viel weicher und romantischer. Es musste eher ein Land sein in dem nicht viele Worte gemacht werden.
„Gut, dann sag ich Dir mal, was der günstigste Fisch in dem Becken kostet: 850,- €! Der teuerste, der im Moment darin schwimmt, kostet 4.500,- € - glaubst Du immer noch, Du kannst das mal eben so locker, flockig bezahlen, falls einer der Fische krepiert? Von der Reinigung des Beckens mal ganz abgesehen.“, Herr Bohner starrte den Großen mit zusammengekniffenen Lippen an.
Der Schlaksige stieß einen Pfiff durch seine Zähne aus und schaute Hannas Chef offenem Mund an.
„Nein.“, er sprach es ganz ruhig aus, als wäre es die natürlichste Antwort der Welt.
Herr Bohner schnaubte. Hanna öffnete ihre Augen wieder und bemerkte, dass der große Kerl mit den hellen Augen sie ansah. Diese Augen erinnerten sie an ihre eigenen. Seltsam, sie hatten fast die selbe Farbe. Sie zwinkerte ihm kurz zu. Er hielt noch einen kurzen Moment ihren Blick, bevor er sich wieder ihrem Chef zu wandte. Dabei sah er zum ersten Mal kurz auf den Boden. Sie musste lächeln. Bist eben doch noch sehr jung. Wenn er siebzehn war, dann war er gerade mal zwei Jahre älter als ihre Tochter. Ihr Chef zog plötzlich mehrmals geräuschvoll durch die Nase Luft ein:
„Hier riechts doch nach Alkohol – habt ihr zwei was getrunken?“
Nachdem keine Reaktion von den Beiden kam sah er zu ihr auf, zum ersten Mal seit sie die beiden Jungs in sein Büro gebracht hatte:
„Riechen Sie das auch?“
Hanna stieß sich von der Schrankwand ab. Sie zuckte leicht mit den Achseln und stellte sich hinter den Stuhl des Großen. Einen kurzen Moment überlegte sie und entschied sich ihrem Chef nichts von ihrer Beobachtung zu erzählen. Sie legte dem Großen ihre Hände auf die Schultern und spürte wie der sich kurz anspannte sich die Berührung aber gefallen lies.
„Seien wir ehrlich: den Fischen wird das Erbrochene wahrscheinlich nichts ausmachen.“
Sie unterbrach kurz da ihr Chef seine Augenbrauen leicht hochzog. Als sie sah, dass er den Mund öffnete, sprach sie schnell weiter.
„Aber die Reinigung des Beckens wird tatsächlich aufwendig und kostspielig werden. Wie wäre es, wenn die beiden hier“, jetzt legte sie ihre rechte Hand auf die Schulter des anderen Jungen, der sah mit fragenden Gesicht zu ihr hoch, „dazu verpflichten uns nach Ladenschluss bei der Reinigung zu unterstützen. Und das Erbrochene müssen sie natürlich auch wegwischen.“
„Sie meinen im Sinne von Sozialstunden?“
Sie nickte.
„Dann könnten wir von einer Anzeige absehen. Natürlich vorausgesetzt keiner der Fische trägt einen Schaden davon.“
Ihr Chef stützte sich mit seinen Ellbogen auf dem Schreibtisch auf und beugte sich nach vorne. Er sah abwechselnd von einem zum anderen. Dann holte er Papier und Stift aus seiner Schublade und schob es den beiden hin.
„Gut. Meinetwegen. Ich bin ja kein Unmensch. Zeigt mir eure Ausweise und schreibt hier euren Namen und Adresse auf – falls doch noch was wäre. Dann geht ihr mit Frau Schnittinger mit. Sie zeigt euch wo ihr euch bis Ladenschluss nützlich machen könnt.“
„Danke, Mann!“, der Schlaksige sah von Hanna zu ihrem Chef und zurück.
Er strahlte übers ganze Gesicht. Hanna sah zu dem Anderen. Dessen Gesicht blieb unbeweglich. Sie zog ihre Stirn in Falten und drückte kurz seine Schulter, bevor sie ihn wieder los lies. Seufzend nahm er den Stift in die Hand und schrieb. Sie konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen. Er hatte ja auch nicht seinen Mageninhalt im Becken hinterlassen. Wenn sie ehrlich war hätte sie an seiner Stelle auch keine Lust auf Arbeitsstunden.

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