Sie blätterte die Karten im roten Kästchen durch. Fein säuberlich nach Kategorie sortiert. Alle, die älter als sechs Monate waren, steckte sie in das blaue Kästchen. Eine Arbeit, gut, um die Gedanken auszuschalten und eine angenehme Leere im Kopf entstehen zu lassen. In solchen Momenten fiel sie aus der Zeit, da gab es nichts zu bereuen, und nichts, das lohnenswert genug war, um darauf zu hoffen. Sie kostete jede Sekunde dieser Tätigkeit aus, befreit von der Last der Vergangenheit, den gescheiterten Experimenten und verpassten Chancen. Frei von der Zukunft, die nicht existierte, für sie nie existiert hatte.
Die Tür schwang auf und unterbrach ihre stille Meditation. Ein Mädchen, vielleicht fünf oder sechs Jahre alt, blieb vier Schritt vor der Theke stehen, den Blick auf die Karteikästchen gerichtet.
Sie hasste Unterbrechungen, doch die zwei hellen, großen Augen, die ihr nun fragend ins Gesicht sahen, ließen den Ärger verfliegen.
„Na? Wer bist du denn?“
Dienstag, 12. Mai 2015
Vom Suchen und nicht gefunden werden
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