Donnerstag, 25. Juni 2009

Stille


Es gibt Momente, die sind so still, dass Du es kaum aushalten kannst.
Dann wird sie lauter und lauter, ganz plötzlich.
Du fährst zusammen und horchst auf.

Aber da ist nichts.
Nichts, außer der Stille, die Dich umgibt, sich sanft über Dich legt,
Dir mit süßer Stimme ins Ohr säuselt, Dich langsam taub und müde macht.
Schließlich gibst Du den Kampf auf.
Lässt Dich von ihr ganz durchdringen.
Du wirst ruhig, Dein Atem geht langsamer.
Bis mit einem Mal ein Laut die Stille zerreist.
Du horchst auf.
Aber er kommt nicht von draußen.
Nein, er wabert aus den Untiefen Deines Inneren langsam auf Dich zu.
Dein Atem setzt für einen winzigen Augenblick aus.
Hältst Du es aus?
Kannst Du zulassen, wie dieser Laut von tief Innen langsam auf Dich zugleitet?
Wirst Du still dasitzen und lauschen?
Dir selbst zuhören?
Oder wirst Du aufspringen, schnell ein Geräusch machen, etwas sagen und mit Deiner Hektik den Augenblick zerspringen lassen?
Was wirst Du tun in dem Moment, in dem es so still um Dich wird, dass Du es kaum aushalten kannst?
Wird es das Richtige sein?
Wirst Du überhaupt eine Wahl haben?

Donnerstag, 18. Juni 2009

Putzaktion II


Hanna strich sich seufzend durchs Haar. Eigentlich war es eine ziemliche Schnapsidee gewesen ihrem Chef die Sache mit der Putzaktion vorzuschlagen. Sie sah auf die Uhr. Zehn vor halb acht. Erneut glitt ihr ein Seufzer über die Lippen. Der würde ja in spätestens einer Stunde nach Hause gehen. Das könnte sie auch, wenn sie nicht heldenhaft die beiden Jungs gerettet hätte. Sie beugte sich hinunter zu ihren Füßen und massierte sich kurz ihre Waden. Mit einem dritten Seufzer richtete sie sich wieder auf. Ihr Blick wanderte kurz durch das Stockwerk zu – wie hieß er noch gleich? Ach genau – Vladimir. Der war damit beschäftigt das Regal mit dem Kleintierzubehör aufzufüllen. Seine Augen waren starr auf die Heuballen geheftet. Sie beobachtete ihn kurz, zuckte schließlich mit den Achseln und wandte sich der Treppe zu. Als sie um die letzte Windung kam stockte sie.
„Das gibt’s doch nicht!“, mit tiefen Furchen auf ihrer Stirn starrte sie zum Koibecken.

Da stand ihre Tochter direkt vor diesem Victor, der knallrot angelaufen war und unruhig von einem Bein auf das andere trat. Er war nicht einmal in der Lage den Blickkontakt aufrecht zu erhalten. Immer wieder wichen seine Augen zu seinen Händen oder Füßen hin aus. Hanna warf einen Blick zu ihrer Kollegin an der Kasse. Diese hob fast entschuldigend ihre Schultern. Sie spürte wie ihr ganzer Körper sich anspannte, als sie auf die beiden Turteltauben zu ging.
„Mona Du kannst schon mal nach Hause gehen. Wir brauchen hier noch eine Weile.“, ihre Stimme zitterte leicht und klang nicht annähernd so scharf, wie sie es sich gewünscht hätte.
Prompt wandte Mona sich ihr mit einem Lächeln zu:
„Aber ich kann euch auch helfen...“
Der kurze Blick, den Mona bei ihren Worten Victor zuwarf gab Hanna einen Stich ins Herz. Verdammt Mädel, kannst Du nicht einen besseren Geschmack haben? Du bist doch meine Tochter, oder etwa nicht? Der Gedanke schoss ihr durch den Kopf. Schnell packte sie Mona an den Schultern und schob sie weg von dem Jungen. Wenn sie sich wenigsten den anderen rausgesucht hätte, der war immerhin im Ansatz schon männlicher.
„Du gehst jetzt schon mal.“, diesmal klangen ihre Worte bestimmter.
Mona sah ihr direkt in die Augen. Sie widerstand der kurzen Versuchung weg zu sehen. Stattdessen nickte sie mit dem Kopf Richtung Ausgang.
„Soll ich dann alleine laufen?“
„Du kannst Deinen Vater anrufen und ihn fragen ob er Dich abholt, wenn es Dir zu weit ist.“
Sie beobachtete wie ihre Tochter kurz die Stirn runzelte sich mit einem Kopfnicken umdrehte und langsam Richtung Ausgang schlenderte. Der kurze Blickkontakt zu Victor entging ihr dabei keineswegs. Als sie sah wie Mona ihre Hüften betont von links nach rechts schwang fühlte sie Wut in sich aufsteigen. Sie unterdrückte den spontanen Impuls ihr nachzulaufen und sie kräftig durch zu rütteln. Dafür baute sie sich direkt vor Victor auf und versperrte ihm mit ihrem Körper den Blick auf das Becken ihrer Tochter.
„Bist Du fertig?“
Kritisch beäugte sie sein Werk. Der gröbste Dreck war im Putzeimer. Sie glaubte zu spüren, wie er leicht den Oberkörper zur Seite lehnte, um um sie herum sehen zu können. Instinktiv bewegte sie sich in die selbe Richtung. Das leise Hüsteln von ihm zauberte ihr ein leichtes Lächeln auf die Lippen. Als sie ihn ansah blickte er zu Boden.
„Naja, den Rest können die Putzfrauen später machen.“
Nachdem sie Victor gezeigt hatte wo er seine Hände waschen konnte bugsierte sie ihn nach oben zu seinem Freund. Sie stöhnte leise auf, als sie sah, dass dieser von einer alten und ziemlich dattrig wirkenden Frau in ein Gespräch verwickelt worden war. Warum tat hier eigentlich niemand das was er tun sollte? Sie schob sich neben Vladimir, sah ihn kurz an:
„Zeig Deinem Kumpel wie das mit den Regalen funktioniert.“, als der ihr zunickte schob sie sich zwischen ihn und die Frau.
Mit dem strahlendsten Lächeln, zu dem sie im Moment noch fähig war wandte sie sich der Alten zu:
„Kann ich Ihnen vielleicht helfen?“
„Ja, wissen Sie ich suche dieses Spezialfutter für meinen Wellensittich. Der junge Mann da meint er könne mir nicht helfen. Aber er arbeitet doch hier, nicht wahr?“
Hanna legte behutsam ihre Hand auf den Arm der Dame, am Besten nicht auf die Sache mit dem jungen Mann eingehen:
„Kommen Sie, ich zeig Ihnen wo das Vogelzubehör steht und dann suchen wir in Ruhe nach dem Futter, dass Ihr kleiner Liebling braucht.“
Vertraulich hackte sie sich bei der alten Dame unter und verschwand mit ihr um die nächste Ecke.

Donnerstag, 11. Juni 2009

Du willst es doch auch!


Das junge Punkermädchen sitzt mit ein paar von ihren Freunden im Park. Den ganzen Nachmittag schon erzählen sie sich Geschichten, vom Leben, von ihren Träumen, von Lustigem und Traurigem. Eben hat Mickey seine Geschichte von seinem geplatzten Urlaubstraum mit einer ausschweifenden Geste beendet und dabei die Tüte mit dem Orangensaft zum Kippen gebracht. Lachend wirft sie ihren Kopf in den Nacken. Als sie sich wieder aufrichtet bleibt ihr ihr Lachen im Hals stecken. Ihr Blick heftet sich starr auf zwei Punkte, die langsam um eine Kurve des Parkweges schlendern und in Richtung ihrer Wiese steuern. Ihr ganzer Körper spannt sich an. Ihr Mund steht offen und sie vergisst für eine halbe Ewigkeit weiter zu atmen.

„Ich bin ein paar Tage bei meinen Großeltern. Meiner Oma geht es nicht besonders. Ich meld mich bei Dir, wenn ich wieder zurück bin, okay?“, seine Worte erklingen wieder in ihrem Ohr. Deine Großmutter sieht aber verdammt jung aus, denkt sie während sie mit einem lauten Schnaufen die restliche Luft aus ihren Lungen presst. Mit zusammengepressten Augen mustert sie das Mädchen in seinem Arm. Langes, blondes Haar, schlank wie eine Gazelle und unglaublich lange, dünne Beine, die auf hohen Stöckelschuhen vor sich hin staksen. Blondes Gift! Ihr Herz klopft heftig während ihr Blick zwischen den beiden hin und her wandert. Ein schönes Paar geben sie ab – er mit seinem dunklen, kurzen und wuscheligem Haar gibt den richtigen Kontrast zu seiner Begleiterin.
Sie sieht an sich herunter. Buntgebatikte Bluse auf weiter, dunkler Stoffhose. Unförmiger Körper, grüne Strähne im halblangen, stumpfbraunem Haar. Nicht besonders attraktiv. Ich würde an seiner Stelle mich auch lieber mit dieser eleganten Schönheit verabreden. Von wegen Großeltern! Lügner! Ein Stich fährt ihr ins Herz. Sie glaubt ein leises klirren zu hören – tief in ihr drin. Fühlt es sich so an, wenn einem das Herz bricht? Ihre Augen füllen sich mit Wasser. Sie fährt sich mit beiden Händen über ihr heißes, feuchtes Gesicht.
„Ist was mit Dir?“, jemand hält ihr eine Flasche unter die Nase und legt eine Hand auf ihre Schulter. Sie greift nach der Flasche und nimmt einen tiefen Schluck. Es schmeckt bitter und scharf, sie muss sich beherrschen es nicht gleich wieder auszuspucken. Wie Feuer brennt sich die Flüssigkeit langsam einen Weg durch ihren Körper, bis sie sich in einem wohlig-warmen Gefühl in der Magengegend auflöst. Sie schließt kurz ihre Augen und spürt der Wärme nach. Hastig nimmt sie noch einen zweiten Schluck.
„Ich muss los.“, schnell steht sie auf und nickt den anderen kurz zu. Bevor sie sich abwendet begegnet sie seinem Blick. Kurz. Es ist nicht so wie Du denkst, scheinen seine Augen zu sagen. Nein, sicher nicht, nichts ist so wie ich gedacht habe, dass es ist, antworten ihre.
Schnell läuft sie den Weg entlang. Sie rennt fast. Ganz weit weg. Möglichst viel Raum zwischen sich und dieses Traumpaar bringen. Sie presst ihre Hände an die Schläfen. Versucht die Bilder aus ihrem Kopf zu bekommen, aber es gelingt ihr nicht. Sie spürt seinen heißen Atem auf ihrer Haut. Ein Schauer läuft ihr über den Rücken. Sie zittert. Spürt seine feuchten Küsse auf ihren Lippen, ihren Augen, ihrem Hals. Noch einmal hört sie seine Stimme leise flüsternd an ihrem Ohr, fordernd:
„Du willst es doch auch“
Schwer atmend lehnt sie sich an die Mauer des Parks. Die Kühle der Steine beruhigt sie ein wenig. Ihre Knie geben nach und sie gleitet langsam zu Boden. Tränen laufen ihr über die heißen Wangen. Immer noch presst sie ihre Hände gegen ihr Gesicht.
„Nein,“, murmelt sie leise, „DAS will ich nicht!“

Donnerstag, 4. Juni 2009

Putzaktion I


Leise pfeifend schlenderte Victor hinter dieser Frau Schnittindingens und Vladimir her. Die war schon cool drauf. Ohne sie hätte der dicke Kerl bestimmt die Polizei gerufen. Bei einer kleinen Kammer blieb sie stehen und drückte ihm einen Schrubber und einen Eimer Wasser in die Hand. Victor realisierte sofort wozu diese beiden Instrument gedacht waren. Mit hängenden Kopf und schweigend folgte er in Richtung Koi-Becken. Jemand hatte den Bereich mit Hilfe zweier Holzpfosten abgetrennt. Die Kunden starrten angewidert auf den Boden und machten einen großen Bogen um die Sauerei. Der Geruch des Erbrochenen löste einen Würgereiz bei ihm aus. Schnell schob er sich seinen Pulli über die Nase. Mit einem langen Blick sah er Vladimir nach, der der großgewachsenen Frau mit den grauen Augen die Treppe hinauf folgte. Aber sein Freund schaute nicht mehr zu ihm runter sondern fixierte mit zusammengezogenen Augenbrauen die Schultern vor sich. Einige Augenblicke stand Victor unschlüssig vor dem Fischbecken, als wisse er nicht was er nun tun sollte. Schließlich tauchte er seufzend den Schrubber in das lauwarme Wasser.

So sehr er sich auch bemühte mit dem Erbrochenen nicht in Berührung zu kommen, wollte es ihm einfach nicht gelingen. Spätestens wenn er den Lappen mit spitzen Fingern aus dem Wasser zu fischen suchte berührte er ein paar der Brocken. Schnell zog er den Lumpen raus und lies ihn auf den Boden fallen. Im Augenwinkel sah er wie die zwei Verkäuferinnen an der Kasse ihre Köpfe zusammensteckten und ihn mit abschätzigen Blicken beobachteten. Blöden Kühe!
„Tschüß“
Eine helle Stimme riss ihn aus seiner Konzentration. Als er aufsah stand das süße Mädel von der Tierarztpraxis fast vor ihm. Ihr Gruß hatte allerdings nicht ihm sondern den beiden Ziegen gegolten. Den Blick noch abgewandt stieß sie mit ihrem Fuß gegen seinen Eimer.
„Huch! Was...“, sie fuhr herum und starrte ihn an.
Victor merkte wie er knallrot anlief. Er lies den Lappen ins Wasser gleiten und kam auf seine Füße.
„Hey...“, er senkte seinen Blick und trat von einem Fuß auf den anderen.
Sein Pulli rutschte von seiner Nase.
„Hey...“, ein Lächeln erschien auf ihrem Gesicht.
Hatte sie ihn erkannt? Er war sich nicht sicher was er sich wünschen sollte. Er sah wieder zu ihr hin. Mann, sah die gut aus! Super Figur – weiter kam er nicht. Frau Schnittingens stand plötzlich zwischen ihnen.
„Mona Du kannst schon mal nach Hause gehen. Wir brauchen hier noch eine Weile.“
„Aber ich kann euch auch helfen...“
„Nein, Du gehst jetzt schon mal.“, sie schob das Mädel von Victor weg.
Er beobachtete wie die Beiden kurz miteinander diskutierten. Dann kam Frau Schnittingdingens auf ihn zu. Bevor Mona in der Dunkelheit draußen verschwand lächelte sie ihm noch zu. Er zwinkerte grinsend. Sie senkte schnell ihren Kopf und war im nächsten Moment verschwunden.
„Bist Du fertig?“, Frau Schnittingdingens begutachtete sein Werk, „Naja, das Gröbste ist weg, den Rest können die Putzfrauen später machen.“
Sie zeigte ihm wo er seine Hände waschen konnte und bugsierte ihn dann nach oben.
„Bis Ladenschluss hilfst Du Deinem Freund Regale einzuräumen. Dann kümmern wir uns ums Koi-Becken.“
Oben redete eine alte Frau auf Vladimir ein.
„Ja, aber Sie müssen mir doch helfen können...“
„Zeig Deinem Kumpel das mit den Regalen.“, ihre Stimme klang beinahe beiläufig bevor sie sich der alten Frau zuwandte und ein strahlendes Lächeln auf ihrem Gesicht erschien, „Kann ich Ihnen vielleicht helfen?“
„Ja, wissen Sie ich suche dieses Spezialfutter für meinen Wellensittich. Der junge Mann da meint er könne mir nicht helfen. Aber er arbeitet doch hier, nicht wahr?“
Frau Schnittingdingens legte behutsam ihre Hand auf den Arm der Dame:
„Kommen Sie, ich zeig Ihnen wo das Vogelfutter steht und dann suchen wir in Ruhe nach dem Futter, dass Ihr kleiner Liebling braucht.“
Schwups, waren beide hinter dem nächsten Regal verschwunden. Was für ein Quatsch: Dann suchen wir das Futter, dass Ihr kleiner Liebling braucht! Victor schnaubte laut und unterdrückte ein Lachen.
„Hier“, Vladimir drückte ihn eine Packung Heu in die Hand.
Victor starrte die Packung an.
„Was soll ich damit?“
„Ja was wohl? Sie dort in das Regal räumen – so wie die anderen zehn Packungen auch?“, Vladimirs Stimme klang gereizt.
„Ey, weißt Du wen ich eben unten getroffen habe?“
Victor stieß den Freund an und grinste breit. Als der nicht reagierte verschwand das Grinsen langsam von seinem Gesicht.
„Was´n los?“
Vladimir hielt inne, wandte den Kopf zu ihm und fixierte ihn mit seinen hellen Augen. Victor wich dem Blick aus, tippte mit dem Fuß und sah den Freund dann von unten herauf an.
„Glaubst Du es macht mir Spaß hier Regale einzuräumen nur weil der Herr Scheiße gebaut hat?“, die Stimme klang scharf und bissig.
„Ey, Mann, ey … Scheiße! Ey, ich habs doch nicht mit Absicht gemacht, Mann!“
Er starrte Vladimir an.
„Wenn mans nicht verträgt sollte man auch nicht saufen, verdammt!“, er sagte es so leise, dass nur Victor es hören konnte.
Dann wandte er sich wieder den Heusäcken zu. Victor stand mit zusammengekniffenen Lippen da. Wasser stand in seinen Augen. Er trat wieder von einem Bein auf das andere.
„Scheiße!“, murmelte er während er seinen ersten Heusack ins Regal stopfte.
Im Augenwinkel beobachtete er Vladimir und hoffte dass dieser vielleicht etwas sagen würde. Aber er sagte nichts.